
Alljährlich findet am 18. November der europäische Antibiotikaresistenztag statt. An diesem Tag soll auf das zunehmende Problem von Antibiotikaresistenzen und den damit verbundenen Gefahren aufmerksam gemacht werden. Schon heute sterben Menschen an Infektionen, die früher mit Hilfe von Antibiotika geheilt werden konnten. Über notwendige Strategien für einen sachgemäßen Umgang mit Antibiotika, sprach Medscape Deutschland mit Dr. med. vet. Tim Eckmanns, Leiter des Fachgebietes Nosokomiale Infektionen und Surveillance von Antibiotikaresistenz und -verbrauch vom Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin.
Medscape Deutschland: Herr Dr. Eckmanns, am RKI fand gerade der 2. Workshop Antibiotikaresistenz statt, den Sie wissenschaftlich mit geleitet haben. Worüber haben sie dort gesprochen?
Dr. Eckmanns: Unter anderem ging es da um nosokomiale Ausbrüche und Indikatoren für den Antibiotikaeinsatz, das Antibiotic Stewardship als Verwaltungssystem für Antibiotika in Kliniken und um die Folgen der Antibiotikaresistenz für die Umwelt. Es haben viele Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen teilgenommen, darunter Ärzte, Tierärzte und Umweltwissenschaftler. Diese Veranstaltung lief im Rahmen des kommenden Europäischen Antibiotikaresistenztages. Weitere werden folgen.
Medscape Deutschland: Den Antibiotikaresistenztag gibt es seit 2008. Er dient der Aufklärung und Sensibilisierung. Wer ist die Zielgruppe und was wird an diesem Tag gemacht?
Dr. Eckmanns: Die einzelnen Länder der EU können diesen Tag selbst regeln, da gibt es keine Vorgaben. Das Europäische Zentrum für Krankheitsvorsorge und -Kontrolle (ECDC), hat in der Vergangenheit auch schon Themen vorgeschlagen. Hierzulande werden Veranstaltungen stattfinden, aber nicht zentral koordiniert. Vor allen Dingen wollen wir Ärzte erreichen.
Medscape Deutschland: Ist Aufklärungsarbeit nicht auch in der Bevölkerung nötig?
Rr. Eckmanns: Ja und nein. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung gut über Antibiotika informiert ist. Allerdings scheint es hier große Unterschiede zu geben, je nachdem, ob es sich um Menschen aus bildungsfernen Schichten handelt oder nicht. Auch zwischen den einzelnen Regionen in Deutschland gibt es Unterschiede. Immerhin liegt der Antibiotika-Einsatz im ambulanten Bereich im Vergleich zu anderen europäischen Ländern im unteren Drittel. Aber es werden zu viele Reserveantibiotika herausgegeben. Letztlich ist es eine interessante Dynamik zwischen Arzt und Patient, die zum Verschreiben von Antibiotika führt.
Medscape Deutschland: Wie sieht diese Dynamik aus?
Dr. Eckmanns: Die Verantwortung für das Verschreiben von Antibiotika liegt natürlich beim Arzt. Allerdings ist die Arzt-Patient-Beziehung sehr komplex. Schon vor fünf Jahren veröffentlichte Professor Attila Altiner, der das Institut für Allgemeinmedizin an der Universität in Rostock leitet und im Bereich Arzt-Patienten-Kommunikation forscht, eine Studie zum Verschreibungsverhalten von Ärzten. Das Ergebnis der Studie ist ernüchternd. Altiner spricht von einem „antibiotischen Missverständnis“. Was der Arzt vorher nicht verschreiben und der Patient nicht erhalten wollte, verschreibt er letztlich doch. Aber Antibiotika sind keine Medikamente gegen Bluthochdruck. Werden sie unsachgemäß verschrieben, haben sie für die ganze Gesellschaft und Umwelt schwerwiegende Folgen.
Medscape Deutschland: Trifft das für alle Antibiotika zu?
Dr. Eckmanns: Ja. Besonders problematisch ist es aber für Reserveantibiotika. Dazu gehören zum Beispiel Chinolone wie das Ciprofloxacin, die bei Erkrankungen des Respirationstraktes verordnet werden. Besonderes Kopfzerbrechen macht mir die Tatsache, dass es billiger ist, ein Antibiotikum zu verschreiben als eine gute Diagnostik durchzuführen. Angeblich verliert man Zeit, wenn man nicht gleich mit der Behandlung beginnt. Aber gerade die schnell verschriebenen Breitbandantibiotika sind für die Entwicklung von Resistenzen problematisch. Durch eine gründliche Diagnostik kann der Arzt den Erreger gezielter angehen. Ein Problem ist auch die Deklaration. Eine bekannte Pharmafirma empfiehlt sogar die Anwendung eines Antibiotikums als First-Line-Medikament, obwohl es sich eindeutig um ein Reserveantibiotikum handelt. Das hängt möglicherweise mit dem auslaufenden Patent zusammen und dem Versuch, jetzt noch rasch die Gewinne zu maximieren. Ein US amerikanischer Infektiologe sagte einmal, Medizinern neue Antibiotika zu geben, ist wie Alkoholikern einen neuen Whisky.
Medscape Deutschland: Welche Probleme sind dadurch konkret zu erwarten?
Dr. Eckmanns: Auch auf deutschen Intensivstationen sterben heute Menschen an Infektionen, weil Antibiotika nicht mehr wirken. Wir können alles Mögliche, sogar Organe ersetzen. Aber Infektionen in den Griff zu bekommen, wird immer schwieriger. Ich befürchte, dass wir für einige Erreger eine postantibiotische Zeit erleben werden. Man stelle sich vor, dass das vor 20 Jahren noch als zu nebenwirkungsreich beschriebene Colistin (Polymyxin E) nun als Reserveantibiotikum angesehen wird. Und ambulant erworbene sogenannte Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Stämme (MRSA) haben in den USA bei Kindern, die niemals zuvor im Krankenhaus waren, zum Tod geführt. Mit multiresistenten Keimen in deren Lunge hat einfach keiner gerechnet. Bei vielen nosokomialen Infektionen ist das Hauptproblem die symptomfreie Kolonisierung und die dadurch unbemerkte Keimübertragung. Eine klassische Inkubationszeit gibt es nicht.
Medscape Deutschland: Das scheinbar individuelle Arzt-Patienten-Verhältnis ist also spätestens mit der Verschreibung eines Antibiotikums ein gesellschaftliches Thema?
Dr. Eckmanns: Ja unbedingt! Bei der Antibiotikatherapie geht es ja gerade um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem individuellen Nutzen und dem möglichst geringen gesellschaftlichen Schaden. Deshalb ist der Public Health Aspekt in der Individualtherapie so wichtig. Auch Veterinärmediziner sind Teil des Resistenzproblems. Tiere können die durch fehlerhafte Behandlung mit Antibiotika gezüchteten Resistenzen auf den Menschen übertragen. So wurden ESBL E. coli und Klebsiellen in Lebensmitteln gefunden. In der Bevölkerung sind 5 - 7 Prozent Träger dieser bakteriellen Resistenzgene. Eine holländische Studie konnte zeigen, dass Resistenzgene bei Tieren und Menschen identisch sind. Damit wissen wir, dass es eine Übertragung geben muss.
Medscape Deutschland: Gibt es Unterschiede im Verschreibungsverhalten der Ärzte in den einzelnen Europäischen Ländern?
Dr. Eckmanns: Ja, auf jeden Fall. Griechenland und Portugal haben die höchste Verschreibungsrate. Dort bekommt man die Antibiotika auch freiverkäuflich in der Apotheke. Frankreich hat zwar auch einen hohen Verbrauch, aber er ist durch öffentlichkeitswirksame Aufklärung zurückgegangen.
Medscape Deutschland: Was ist also zu tun?
Dr. Eckmanns: Aus dem ambulanten Bereich haben wir gute Verbrauchsdaten zur Verfügung - über das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen (WIDO) und das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI). Im stationären Bereich ist die Surveillance der Daten schwieriger, aber mit dem ADKA-IF-Antibiotika-Surveillance-Projekt, unterstützt vom Robert Koch-Institut, möglich. Seit Novellierung des Infektionsschutzgesetzes 2011 muss auch in Krankenhäusern die Antibiotikamenge für den internen Gebrauch dokumentiert, bewertet und im Hinblick auf den Verbrauch analysiert werden. Zudem muss in den Kliniken ein Antibiotika-Verwaltungssystem (Antibiotic Stewardship) etabliert werden. Im ambulanten Bereich werden 85% der Antibiotika verschrieben, dort ist die Einführung solcher Verwaltungsstrukturen schwieriger.
Mehr als 60% aller Ärzte verordnen täglich, über 90% wöchentlich Antibiotika. Daraus lässt sich schließen, dass fast alle Ärzte mit diesem Problem zu tun haben. Erst das Dreiergespann aus Humanmedizin, Veterinärmedizin und Umweltwissenschaften und die „One Health“ Strategie kann am Ende wirksam in diesem Bereich forschen und zum Umdenken anregen. Und klar ist auch, viele Infektionen brauchen eine Therapie - sicher aber nicht immer eine antibiotische.
Medscape Deutschland: Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.