Jung, adipös – und später niereninsuffizient?

Anja Laabs | 6. November 2012

Autoren und Interessenskonflikte

Die Niereninsuffizienz ist eine anerkannte Spätkomplikation des Diabetes. Ob aber bereits Übergewicht und Adipositas – die ihrerseits häufig eine Vorstufe zum Typ-2-Diabetes darstellen – ebenfalls einen Risikofaktor für die Niere darstellen, ist nicht bekannt. Insbesondere die Beziehung zwischen dem Body-Mass-Index (BMI) von Kindern und Jugendlichen und dem späteren Risiko, an einer terminalen Niereninsuffizienz (End-Stage-Renal-Disease, ESRD) zu erkranken, ist bislang noch nicht vollständig verstanden. Auch der Zusammenhang zwischen diabetischer und nicht-diabetischer ESRD, ist nur teilweise aufgeklärt. Dazu gibt es jetzt neue Erkenntnisse aus einer landesweiten, populationsbasierten und retrospektiven Kohortenstudie aus Israel.

Dafür werteten Dr. Asaf Vivante und seine Kollegen vom Sheba Medical Center in Tel Hashomer, Israel, die Daten von fast 1,2 Millionen Jugendlichen im Alter von 17 Jahren über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg, von Anfang 1967 bis Ende 1997, aus. Die Untersuchungen fanden im Rahmen der Wehrtauglichkeitsprüfung für den Militärdienst statt, wodurch eine riesige Kohorte zustande kam. Ziel der Studie war es herauszufinden, wie der BMI und die terminale Niereninsuffizienz zusammenhängen.

Das Team um Vivante stellte fest, dass übergewichtige Jugendliche im Vergleich zu normalgewichtigen ein dreimal höheres Risiko hatten, später eine ESDR zu entwickeln. Bei fettleibigen, adipösen Jugendlichen war dieses Risiko sogar siebenfach höher. Mit einer Inzidenzrate von 6,08 bei Übergewichtigen und 13,40 bei adipösen Jugendlichen je 100.000 Personen pro Jahr bestand für diese Gruppen ein deutlich höheres ESRD-Risiko. Übergewichtige Jugendliche hatten ein 6-fach höheres Risiko, adipöse ein 19-fach höheres Risiko, eine diabetische ESRD zu entwickeln. Die Risikoerhöhung war signifikant und trat bei Jungen ab einem BMI – gemessen in Kilogramm durch Größe in Meter zum Quadrat (kg/m2) von 26.11 bis 28.3 und bei Mädchen ab einem BMI von 26.7 bis 29.59 auf.

Militärrekruten wurden systematisch untersucht

Um den Effekt verschiedener Einflussgrößen auf den Endpunkt ESRD zu berücksichtigen, wurden bei der statistischen Auswertung proportionale Hazard Modelle oder Cox-Modelle verwendet. Bei der Untersuchung der Rekruten wurden Körpergewicht, Körpergröße und Blutdruck gemessen und der Urin analysiert.

Die Beurteilung des BMI erfolgte gemäß den Vorgaben des Center for Disease Control and Prevention (CDC) in Atlanta, USA. Danach gelten Jungen ab einem BMI von 24,90 bis 28,19 und Mädchen ab einem BMI von 25,20 bis 29,59 als übergewichtig. Als adipös galten Jungen, wenn sie einen BMI von 28,20 bis 40,00 und Mädchen, wenn sie einen BMI von 29,60 bis 40,00 hatten. Als Beginn der ESRD galt definitionsgemäß die Einleitung der Dialysebehandlung oder das Datum der Nierentransplantation.

Mit dem BMI steigt das Risiko für die Niere

Auf diese Weise ließ sich klar ermitteln, wie häufig Studienteilnehmer gemessen an ihrer BMI-Kategorie eine terminale Niereninsuffizienz entwickelten. „Diese umfangreiche Studie zeigt erstmals überzeugend in einer großen Kohorte, dass Übergewicht oder Adipositas und Nierenversagen bei Erwachsenen zusammenhängen“, erkläuterte Dr. med. J. v. Schnurbein, Funktionsoberärztin der Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie und der Interdisziplinären Adipositasambulanz an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsklinik Ulm.

Die Studie liefere nach ihrer Auffassung sehr gute Daten, die zeigten, dass Fettleibigkeit das Risiko für Nierenversagen auch unabhängig vom Diabetes erhöhe. Zwar wüssten die Ärzte bereits, dass es einen Zusammenhang zwischen Übergewicht im Kindes- und Jugendalter und den gesundheitlichen Folgen im Erwachsenenalter gibt. Dennoch sei, so v. Schnurbein, die Datenlage gar nicht so klar. Jetzt liefere diese Studie eindeutige Belege, wie die Oberärztin hervorhob: „Die Ergebnisse, die auf der Analyse einer so riesigen Kohorte basieren, zeigen deutlich, dass Übergewicht im Kindes- und Jugendalter ein prädisponierender Faktor für späteres Nierenversagen ist. Das ist eine wichtige Botschaft für uns Ärzte.“

Die Studienergebnisse geben Anlass zur Kontroverse

Das sieht Prof. Dr. med. Manfred J. Müller, Leiter der Abteilung Humanernährung am Institut für Humanernährung und Lebensmittelkunde an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, indes anders. Schließlich seien, so Müller, auch die Inzidenzzahlen in der Studie nicht sehr hoch. Aus seiner Sicht seien im Wesentlichen „extrem Dicke“ von den medizinisch relevanten Risiken und Krankheiten betroffen.
Diese machten aber nur 1% aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland aus. Übergewichtig, so Müller, sind dagegen 16% der Kinder und Jugendlichen hierzulande. Deren Hauptproblem sei jedoch eher das Stigma und dessen soziale Auswirkungen. Müller sagte dazu: „Zu Niereninsuffizienz ist mir im Zusammenhang mit Adipositas nichts bekannt.“ Dennoch sei klar, dass Übergewicht Folgen für die Menschen bis ins späte Erwachsenenalter habe.

Fettleibigkeit und ESRD hängen vielfältig zusammen

Die vorliegende Studie liefert verschiedene Erklärungsansätze, inwiefern Fettleibigkeit mit ESRD zusammenhängen könnte. So folgern die Autoren, dass Übergewicht durch eine damit verbundene Glomerulopathie und fokaler segmentaler Glomerulosklerose mit begleitender Glomerulomegalie direkt zu Nierenversagen führen kann. Möglich sei auch, dass es zu einer über den Botenstoff Leptin vermittelten Nierenfibrose komme und dass die bei Adipösen erhöhte Renin- und Aldosteronspiegel dazu beitrügen.

Indirekt könne Fettleibigkeit wegen ihrer Verbindung mit anderen chronischen Krankheiten, wie Diabetes mellitus und Hypertonie, einer ESRD den Boden bereiten. Schließlich hätten, so die Einschätzung der Autoren, Fettleibigkeit und ESRD insbesondere den Lebensstil als Risikofaktor gemeinsam. Dieser zeige sich in ungesunden Verhaltensweisens wie einer schlechten Ernährung, Rauchen und mangelnder Bewegung.

Schon junge Patienten leiden unter Adipositas

Auch Julia v. Schnurbein sieht diese Erklärungsmöglichkeiten und weist darauf hin, dass die gewonnenen Erkenntnisse nicht mehr als einen signifikanten Zusammenhang zeigen: „Doch dieser Zusammenhang hat durchaus eine Relevanz im Praxisalltag und sogar für das gesamte Gesundheitswesen.“ Schließlich gäbe es noch immer keine für die Mehrheit der Patienten erfolgreiche Therapie gegen Adipositas und die Folgeerkrankungen belasteten nicht nur die jungen Patienten bis ins Erwachsenenalter, sondern sie kosteten das Gesundheitssystem auch viel Geld.

Während Müller im Zusammenhang mit dieser Studie eher von einer „Verzerrung des Themas“ und von einem “Public-Health-Problem” spricht, „das aber der Arzt aus einer sehr engen Perspektive erlebt“, sieht v. Schnurbein durchaus auch eine Übertragbarkeit auf deutsche Verhältnisse. Zwar ließen sich die von den Autoren gewählten BMI-Grenzen nicht direkt auf deutsche Verhältnisse übertragen, weil hierzulande andere Definitionen für Übergewicht und Adipositas gälten. Es sei aber grundsätzlich ein Problem der Adipositas-Forschung, dass man sich bislang auf keine international einheitliche Definition einigen konnte.

Aber darum ginge es in dieser Studie nach v. Schnurbeins Einschätzung nicht und das ändere auch nichts am klaren Zusammenhang zwischen Adipositas und den Veränderungen, die auf eine spätere Nierenerkrankung oder sogar Nierenversagen hinweisen. „Hier gilt wie überall“, so v. Schnurbein, „Dicksein im jugendlichen Alter ist aller Voraussicht nach ein Risiko für spätere Erkrankungen. Dazu gehört auch die terminale Niereninsuffizienz - in Israel genauso wie in Deutschland.“

Referenzen

Referenzen

  1. Vivante A, et.al.: Arch Intern Med. (online) 29. Oktober, 2012.
    http://dx.doi.org/10.1001/2013.jamainternmed.85
  2. Johansen KL: Arch Intern Med.(online) 29.Oktober, 2012.
    http://dx.doi.org/10.1001/2013.jamainternmed.917

Autoren und Interessenskonflikte

Anja Laabs
Es liegen keine Interessenkonflikte vor

J. Schnurbein
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

M. J. Müller
Es liegen keine Angaben zu Interessenkonflikten vor.

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