Mit den derzeit zugelassenen Antiasthmatika gelingt es bei der überwiegenden Mehrzahl der Asthmakranken, die Krankheit angemessen zu kontrollieren. Rund 10% der Patienten lassen sich jedoch durch eine konventionelle Behandlung mit (inhalativen) Steroiden, (lang wirksamen) Beta2-Sympathikomimetika – ggf. auch ergänzt durch Antileukotriene und/oder einen Anti-IgE-Antikörper – nicht befriedigend einstellen. Bei diesen Betroffenen besteht fraglos weiterer Handlungsbedarf.
Ob in der genannten Konstellation die zusätzliche Gabe des lang wirksamen Anticholinergikums Tiotropium (Spiriva) hilfreich sein kann, dieser Frage sind kürzlich zwei große randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudien (PrimoTinA-asthma 1 und 2) nachgegangen. Die Antwort lautet offenbar „Ja“, folgt man den zeitgleich beim Jahreskongress der European Respiratory Society (ERS) vorgestellten sowie im New England Journal of Medicine erschienenen Studienergebnissen.
Tioropium nach Versagen der Standardtherapie
Für die Untersuchungen wurden erwachsene Asthmatiker mit einer mindestens fünfjährigen Krankheitsgeschichte rekrutiert. Zwingende Voraussetzungen waren eine persistierende Lungenfunktionseinschränkung (forciertes expiratorisches Sekundenvolumen nach Gabe eines Bronchodilatators < 80% des entsprechenden Normwertes, forcierte Vitalkapazität < 70%) unter der Standardtherapie mit einem inhalativen Glukokortikosteroid (mindestens 800 Mikrogramm Budesonid oder einem vergleichbaren Steroid täglich) plus einem lang wirksamem Beta2-Sympathikomimetikum. Zu den wichtigsten Ausschlusskriterien zählte die gleichzeitige Diagnose einer COPD und ein aktiver Raucherstatus.
Nach Randomisierung wurden insgesamt 912 Patienten über 48 Wochen zusätzlich zu der vorherigen Behandlung mit dem mittels Respimat-Inhalationssystem verabreichten Anticholinergikum Tiotropium (zwei morgendliche Hübe à 2,5 Mikrogramm täglich) bzw. Plazebo behandelt. Primäre Studienendpunkte waren die Lungenfunktion (forciertes expiratorisches Sekundenvolumen FEV1 drei Stunden nach Inhalation und am Ende des Dosierungsintervalls) sowie der Einfluss auf die Exazerbationsrate.
Verbesserung der Lungenfunktion
In beiden Studien fand sich unter der zusätzlichen Behandlung mit dem lang wirksamen Anticholinergikum nach 24 Wochen eine signifikante und klinisch relevante Verbesserung der genannten Lungenfunktionsparameter. Sowohl im Hinblick auf den 3 Stunden nach Inhalation beziehungsweise am Ende des Dosierungsintervalls gemessenen FEV1 schnitten die mit Verum behandelten Patienten um mindestens 100 ml besser ab als die mit Plazebo behandelten Patienten.
Zudem konnte die Zeit bis zur ersten Asthmaexazerbation in der mit Tiotropium behandelten Patientengruppe um 56 Tage verlängert werden. Die Vorteile zugunsten des lang wirksamen Anticholinergikums blieben über den gesamten 48wöchigen Studienzeitraum erhalten. Mit 73,5 versus 80,3% lag die Rate unerwünschter Ereignisse in der Verumgruppe sogar geringfügig unter der in der Plazebogruppe beobachteten Ereignisrate.
Für Prof. Dr. med. Roland Buhl, Leiter des Schwerpunktes Pneumologie an der III. Medizinischen Klinik und Poliklinik der Universität Mainz, kommen die genannten Studienergebnisse alles andere als überraschend. „Vier Wochen nachdem Tiotropium verfügbar war, habe ich es bei meinem ersten schweren Asthmatiker ausprobiert und habe Glück gehabt. Der hat gleich angesprochen.“
Praxis nahm Studienergebnisse vorweg
Angesichts der Tatsache, dass nach Angaben Buhls in Deutschland heute schon nicht wenige Tiotropium-Verordnungen an Asthmatiker gehen, habe der „Markt längst vorweg genommen, was der Hersteller zunächst nicht nachvollziehen wollte.“ Mit dem nun angelaufenen Studienprogramm werde lediglich das nachgeholt, „was der kundige Pneumologe schon seit langem tut.“
Ebenfalls wenig überrascht zeigt sich auch Dr. med. Thomas Voshaar, Chefarzt der Medizinischen Klinik III am Krankenhaus Bethanien, Moers. „Bei solchen Patienten, die einfach nicht besser werden, bei denen wir mit dem Rücken zur Wand stehen, haben die meisten von uns schon immer Anticholinergika eingesetzt.“ Im Gespräch mit Medscape Deutschland gab Voshaar seiner Überzeugung Ausdruck, dass entsprechende Effekte wohl jedoch nur bei einem bestimmten Subtyp von Patienten zu erwarten sind. Es bestehe definitiv kein Anlass, „unser bisheriges Asthmakonzept gegen Anticholinergika auszutauschen, denn Beta2-Sympathikomimetika sind in der Masse sehr viel stärker wirksam – da können Anticholinergika im Effekt nicht mithalten. Aber gleichwohl: it’s nice to have.“
Inahalationssystem unter Verdacht
Beim diesjährigen ERS wurden retrospektiv erhobene Daten vorgestellt, die auf ein zusätzliches Sicherheitsrisiko einer mittels Respimat („soft mist inhaler“) umgesetzten Tiotropium-Inhalation hinweisen. Dies hält Voshaar für schwer nachvollziehbar. „Ich persönlich glaube gar nicht, dass das so ist,“ verwies der Pneumologe auf mögliche Tücken und Fallstricke im Umfeld der medizinischen Statistik.
„Mit der Statistik ist das eine komplizierte Geschichte und wir sind schon oft falschen Effekten aufgesessen, weil man mit den statistischen Daten nicht richtig umgegangen ist. Für mich gibt es bislang kein pathophysiologisches Konzept, das die Unterschiede zwischen zwei Inhalationssystemen (Handihaler und Respimat) bezüglich kardiovaskulärer Nebenwirkungen erklären könnte.“
Nach Einschätzung Buhls ist der Respimat „derzeit sicher eines der effektivsten Inhalations-Devices und ich kann mir vorstellen, dass da die Anflutung der Wirkstoffpartikel rascher und intensiver ist als beim Handihaler.“
Dennoch sollte man die beim ERS einmal mehr angefachte Sicherheitsdiskussion nicht überbewerten. „Angesichts der Tatsache, dass eine derzeit laufende, groß angelegte Studie, die den Sicherheitsaspekten im Zusammenhang mit der Inhalation von Tiotropium – verabreicht mittels Respimat oder Handihaler – bei über 16.000 Patienten detailliert nachgeht, noch nicht abgebrochen wurde, kann das Ungleichgewicht so gravierend nicht sein,“ befand Buhl.
Nicht zuletzt könnten die beim ERS präsentierten Daten schlichtweg darauf zurückzuführen sein, dass das Respimat-Device bevorzugt solchen Patienten verordnet wird, denen man auf anderem Wege eine inhalative Therapie überhaupt nicht mehr zutraut, warf Buhl die Frage nach etwaigen Komorbiditäten und einer entsprechenden Patientenselektion auf.