Psychoonkologie: Patienten sprechen am liebsten mit ihrem Hausarzt

Ute Eppinger | 31. Oktober 2012

Autoren und Interessenskonflikte

Stuttgart – Mit modernen diagnostischen Verfahren lassen sich Tumoren immer besser spezifizieren. Die Gedanken und Gefühle der Krebspatienten bleiben dagegen nach wie vor oft im Dunkeln. Wie die Psychoonkologie als eigene wissenschaftliche Fachrichtung die seelischen Auswirkungen von Krebs erforscht und Möglichkeiten der Unterstützung entwickelt, zeigten Experten auf der Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie (DGHO) in Stuttgart.

Diagnose Krebs mit Anfang 30: Und jetzt? „Kann ich noch Kinder zeugen?“ „Ich wollte mit meinem Mann doch Kinder haben“ –  Diana Richter, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Medizinische Psychologie & Medizinische Soziologie am Universitätsklinikum Leipzig, kennt solche Ängste und die entsprechenden Patientenfragen nur zu gut. Doch wie spricht man über dieses schwierige Thema? Wird es zwischen Arzt und Patient überhaupt thematisiert? Die Gräben zwischen den Betroffenen und Medizinern scheinen zumindest erheblich: Laut einer Studie von Richter und Team ist die Thematisierung von Fertilitätseinschränkungen nicht die Regel, fast die Hälfte der Krebspatienten ist demnach nicht über Fertilitätsschädigungen informiert. Die Arbeitsgruppe um Richter hatte 30 junge Krebspatienten aus elf Kliniken in Sachsen (16 Frauen, 14 Männer, Durchschnittsalter: 29 Jahre) nach ihren Erfahrungen befragt.

Richter und Team haben zudem damit begonnen, die behandelnden Ärzte der Patienten  –  sowohl Hausärzte als auch Onkologen – zu befragen. Diese ersten Befragungen ergaben, dass 85% das Gespräch mit dem Patienten als wichtig einstufen und 95,8% der Hausärzte ihre Patienten zum Onkologen überweisen würden. „65% unserer befragten Ärzte sprechen mögliche Fertilitätseinschränkungen immer an“, erklärte Richter. Damit entsprechen sie dem Wunsch der Betroffenen nach konkreten Informationen zur Erkrankung, zu möglichen Therapien und deren  Folgen. Hierfür wünschen sich Patienten, dass das Gespräch in einem separaten Raum stattfindet und der Partner am Gespräch teilnehmen kann. Der Arzt, mit dem die Patienten am ehesten darüber sprechen würden, ist ihr Hausarzt.

Vortragsreihe „Leben mit Krebs“ wird gut angenommen

Wie man Patienten über das Arzt-Patienten-Gespräch hinaus psychoonkologisch betreuen und sie in der Krankheitsbewältigung unterstützen kann, zeigte Dr. med. Andrea Petermann-Meyer, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin für psychosoziale Onkologie in Aachen.
Petermann-Meyer ist an der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation am Universitätsklinikum Aachen mit der Schaffung nachhaltiger psychoonkologischer Strukturen beauftragt, durch die jeder Krebspatient psychoonkologische Unterstützung erhält. Sie und ihr Team haben zu diesem Zweck die Veranstaltungsreihe „Leben mit Krebs“ konzipiert, die Vorträge zu Themen wie Angst/Angstbewältigung, psychologische Beratung, Leben im veränderten Körper, Angehörige und Kinder umfasst.

An den Vorträgen nahmen insgesamt 571 Betroffene teil. 50% der Gruppe waren an Krebs erkrankt, 30% Verwandte der Kranken, 17% Ärzte und Pflegekräfte und 3% interessierte Besucher. 69% der Patienten und Verwandten gaben an, dass sie mehr Unterstützung benötigten, zugleich hätten aber 42% nie über professionelle Hilfe nachgedacht, berichtete Petermann-Meyer.

523 der Teilnehmer beantworteten im Anschluss an die Vortragsreihe einen Fragebogen inklusive dem Distress-Thermometer, einen Selbstbeurteilungsbogen der Psychoonkologie. 51% der Befragten, die 4 oder mehr Vorträge aus der Veranstaltungsreihe gehört hatten, zeigten einen mittleren Distress-Level von 5 Punkten (max. Punktzahl: 10), bei der Mehrzahl der Patienten (68%) von ihnen lag die Krebsdiagnose 12 Monate oder länger zurück.

86% der Teilnehmer an der Vortragsreihe gaben zudem an, sie hätten neue Informationen erhalten, 81% der Patienten und Verwandten empfanden die Informationen als hilfreich für die Krankheitsbewältigung und 91% sahen ihre Erwartungen erfüllt.

Screening ermittelt Bedarf an psychosozialer Unterstützung

Dass es einen Bedarf an psychosozialer Unterstützung gibt, liegt nahe. Doch wie hoch ist er und wie kann er ermittelt werden? Johanna Ringwald vom Institut für Psychologie an der Universität Regensburg berichtete über die Anwendung eines weiteren psychoonkologischen Verfahrens, dem Hornheider Screening-Instrument (HSI), bei Patienten der Fachklinik Hornheide am Stuttgarter Marienhospital. Um herauszufinden, welche Patienten am meisten unter psychischen Belastungen leiden und am dringendsten Hilfe benötigen, wandten die Forscher den HSI – einen 7-Themen-Fragebogen zur Selbsteinschätzung – bei allen onkologischen Patienten an, die seit 2010 in der Fachklinik Hornheide behandelt worden waren. Daraus wählten Ringwald und Team diejenigen 70 Probanden mit dem schlechtesten Ergebnis des HSI-Tests, also dem höchsten Leidensdruck, und 20 Probanden mit normalen Werten.
Das Personal wurde auf die Patienten mit den schlechtesten Werten aufmerksam gemacht, um diesen die bestmögliche Pflege zukommen zu lassen. Die meisten von diesen 70 Patienten in der Fachklinik Hornheide erhielten zwar gezielte Unterstützung, aber nur 54% bekamen während ihres Aufenthalts Besuch von einem Psychoonkologen.
Mittels Telefoninterviews bei den insgesamt 90 Patienten wurde die Qualität der psychoonkologischen Betreuung evaluiert. 49% derjenigen mit schlechten und 55% derjenigen mit sehr schlechten HSI-Ergebnissen gaben während der Interviews an, momentan psychoonkologische Unterstützung zu erhalten. Die 20 Patienten mit normalen Werten erhielten keine besondere über das übliche Maß hinausgehende Unterstützung, obwohl 45% den Wunsch danach äußerten.

Bei 30 der 70 Patienten mit schlechten oder sehr schlechten Werten wurden die Interviews mehr als einmal durchgeführt. Die Werte vieler Patienten besserten sich im Laufe der Zeit, solange sich der Gesundheitszustand nicht verschlechterte. Daher wurden bei der zweiten Befragung nur 30 Patienten, bei der dritten 22 Patienten und bei der vierten 13 Patienten eingebunden. Das Ergebnis legt nahe, dass ein Screening auf psychoonkologische Bedürfnisse mittels HSI helfen kann, den Fokus auf Patienten zu legen, die eine solche Hilfe am meisten benötigen. Solange der Gesundheitszustand stabil bleibt, können Bewältigungsstrategien den Bedarf an psychoonkologischer Hilfe reduzieren. „Der HSI ist nur wenig zeitaufwändig, und er gibt eine recht präzise Ersteinschätzung des Unterstützungsbedarfs“, so Ringwald. Allerdings könne der HSI eine ausführliche Erhebung nicht ersetzen.

Gesundheitsbezogene Lebensqualität auch nach Reha eingeschränkt

“Die Zahl an Krebspatienten steigt, die Überlebensraten werden besser, damit wird Krebs mehr und mehr zu einer chronischen Krankheit“, erklärte Dr. med. Johannes Weiß von der Klinik am Kurpark in Bad Kissingen. „In diesem Kontext spielt die gesundheitsbezogene Lebensqualität (QOL) eine immer größere Rolle.“ Weil in Deutschland nur wenige Daten über gesundheitsbezogene QOL vorliegen, nahmen Weiß und Kollegen folgende Analyse vor: 1879 Krebspatienten (Durchschnittsalter 57 Jahre, 1336 Frauen, 543 Männer), die zwischen Oktober 2007 und April 2011 an einem Reha-Programm der Klinik teilgenommen hatten, füllten einen QOL-Fragebogen (EORTC QLQ-C30, Version 3.0) aus.

Der Bogen setzte sich aus 30 Fragen der Kategorien physisch, emotional, kognitiv, sozial, Rollenfunktion, globaler QOL und Erschöpfung zusammen. In jeder Kategorie konnten zwischen 0 und 100 Punkte erreicht werden. Die Statistik wurde in beschreibender Art erstellt, wobei Durchschnittswerte mit Standardabweichung und 95%-Konfidenzintervall benutzt wurden. Die häufigste Diagnose war Brustkrebs gefolgt von systemischen hämatologischen Malignitäten (13%, n=242) und Kolorektalkrebs (12%, n=219). Im Ergebnis waren die QOL-Werte der Patienten signifikant schlechter als allgemein in der deutschen Bevölkerung.

Während sich Geschlecht, Krebsart, Zeitfenster zwischen Erstdiagnose und Reha, BMI und Herkunft auswirkten, beeinflussten Alter, Krebsstadium, Art der Therapie und Partnerschaft den QOL nicht signifikant. Weiß: „Die gesundheitsbezogene Lebensqualität in deutschen Krebspatienten mittleren Alters ist schlechter als die Lebensqualität in der Allgemeinbevölkerung. Auch nach erfolgter Rehabilitation bleiben die Zufriedenheitswerte deutlich niedriger.“ Offenbar spiele auch die Zeit zwischen der Diagnose und dem Beginn der psychoonkologischen Betreuung eine Rolle: Patienten mit Krebsdiagnose sollten also möglichst frühzeitig psychoonkologische Unterstützung erhalten.

Referenzen

Referenzen

    Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Onkologie (DGHO) 19. bis 23. Oktober 2012, ICS Stuttgart
    Freier Vortrag Psychoonkologie, 22. Oktober

    http://www.haematologie-onkologie-2012.de/

Autoren und Interessenskonflikte

Ute Eppinger
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Diana Richter: Finanzierung der Studie durch die Deutsche José Carreras Leukämie-Stiftung e. V.
Zu Dr. med. Andrea Petermann-Meyer, Johanna Richter und Dr. med. Johannes Weiß liegen keine Erklärungen zu Interessenkonflikten vor.

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