Umstrittener Pionier: Die Online-Arztpraxis DrEd in London

Janna Degener | 24. Oktober 2012

Autoren und Interessenskonflikte

Im Prinzip funktioniert DrEd ganz ähnlich wie jede andere Praxis auch: Der Patient besucht eine Sprechstunde und beantwortet die Fragen des Arztes. Der Arzt legt eine Patientenakte an, stellt eine Diagnose, schlägt dem Patienten eine Behandlung vor und stellt gegebenenfalls ein Rezept für ihn aus.

Und dennoch ist bei DrEd alles irgendwie ganz anders: Die Patienten betreten kein Gebäude, sondern die Internetseite www.dred.com [1]. Arzt und Patient kommunizieren nicht von Angesicht zu Angesicht; stattdessen füllen die Patienten online Fragebögen aus und werden ebenfalls online registriert. Die Patientenakte befindet sich nicht in einem Holzschrank, sondern auf der passwortgeschützten virtuellen Plattform der Ärztepraxis. Es gibt kein Rezept zum Mitnehmen, das wird gleich von DrEd an eine bestimmte Versandapotheke oder direkt zum Patienten nach Hause geschickt.

Telemedizinische Diagnosen aus London

DrEd ist eine Online-Arztpraxis mit Sitz in London. Seit November 2011 richtet sich das Angebot auch an deutschsprachige Patienten. Mit seinem telemedizinischen Angebot gilt DrEd als Pionier im deutschen Gesundheitsbereich. Von Akne und Haarausfall über Blasenentzündung und Anti-Baby-Pille bis hin zu Impotenz und Tripper bedient DrEd insbesondere die Palette an jenen „peinlichen“ Problemen, die viele Patienten in einer gewöhnlichen Arztpraxis eher ungern zur Sprache bringen.

Der „Arzt im Netz“ sei „erfahren, einfach und sicher“, wirbt das Ärzteteam auf seiner Internetseite. Hier gebe es ärztlichen Rat und die Behandlung  „ohne Termin, ohne Praxisgebühr, ohne Parkplatzsuche oder Wartezimmer“. Die Sprechstunden seien 24 Stunden am Tag erreichbar und damit besonders attraktiv für Patienten mit wenig Zeit. Schließlich betont DrEd auf seiner Website, durch das Online-Angebot sei eine flächendeckende fachärztliche Versorgung gewährleistet, weil man Patienten unabhängig von ihrem Wohnort fachärztlich versorgen könne – also beispielsweise auch in ländlichen Gegenden, wo es nicht genug Fachärzte gibt.

Doch mit ihrem Konzept stößt die Online-Arzt-Praxis in Deutschland nicht nur auf Begeisterung. Bereits kurz nach der Eröffnung der Praxis übte die Bundesärztekammer (BÄK) in einer öffentlichen Stellungnahme Kritik [2]. Ein Dreivierteljahr später rät die Stiftung Warentest jetzt nach einem Schnelltest dringend von einer Nutzung des Angebots ab [3].

Ein zentraler Streitpunkt ist dabei die rechtliche Situation der Online-Praxis. „Laut (Muster-)Berufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte, nach der sich die verbindlichen Berufsordnungen der Ärztekammern in den Bundesländern richten, dürfen Ärztinnen und Ärzte die individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich aus der Ferne durchführen“, heißt es in der Stellungnahme der BÄK.

Sind Patienten juristisch nicht genügend abgesichert?

Im Bericht über den Schnelltest der Stiftung Warentest steht außerdem, dass die Betroffenen bei Behandlungsfehlern juristisch schlechte Karten hätten. Dann müssten sie die Online-Docs am Ort ihres Sitzes, also in England, verklagen – mit immensem Aufwand und ungewissen Erfolgschancen. Das zeigt ein Rechtsgutachten, das die Stiftung Warentest anfertigen ließ. Demnach bewege sich DrEd in einer „juristischen Grauzone“.

Dr. med. Jasper Mordhorst, Ärztlicher Direktor, und David Meinertz, Geschäftsführer von DrEd, streiten dies in einem offenen Brief an die Stiftung Warentest [4] ab: „Im Gegenteil: Die rechtliche Seite ist genau geregelt.“ Auch auf der Website von DrEd heißt es: „In England, der Schweiz und anderen nordeuropäischen Ländern ist die Sprechstunde von Ärzten über telemedizinische Einrichtungen erlaubt, wenn die Anbieter behördlich zugelassen sind und einer dauerhaften staatlichen medizinischen Aufsicht unterliegen.“

Laut der neuen EU-Richtlinie „Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ sei es Telemedizinern wie allen Ärzten innerhalb der EU gestattet, ihre Dienstleistung europaweit anzubieten. Weiterhin regele die Richtlinie, dass Patienten in ihrer Wahl von Ärzten, Apotheken und sonstigen Gesundheitsanbietern innerhalb Europas frei sind. Dass die Stiftung Warentest hier von einer juristischen Grauzone spreche, bezeichnen die Mediziner in dem offenen Brief deshalb als „unverständlich und irreführend“. In einem Statement vom 9.August 2012 betonen sie schließlich: „Nur weil dieses Angebot neu ist, ist es noch lange nicht grau. Und die Rechtslage ist bereits heute eindeutig. So kann nach unserem Sprachverständnis keine - den Leser verunsichernde - Grauzone vorliegen.“

Fehlbehandlung oder therapeutische Freiheit?

Neben den juristischen Streitpunkten gibt es in Bezug auf die Online-Arztpraxis aber auch kontroverse Diskussionen zu medizinischen und moralischen Fragen. So kommt die Stiftung Warentest in ihrem Schnelltest zu dem Ergebnis, dass das Risiko einer Falschbehandlung bei DrEd „immens“ sei. Ein Tester, der sich für die Stiftung Warentest bei DrEd behandeln ließ, gab vor, unter einer Blasenentzündung zu leiden, der andere an einer Chlamydien-Infektion. Beide bekamen von den Ärzten ein Antibiotikum verordnet, obwohl die angegebenen Symptome nur teilweise zum Krankheitsbild passten und ohne dass von DrEd die für die Diagnose nötigen Urintests angefordert wurden.

„Die Testpersonen haben die Fragebögen so angekreuzt, dass die Diagnose nicht eindeutig war. Keine Behandlungsleitlinie sieht zum Beispiel vor, dass nur aus der Angabe ‚Blasenschmerzen‘ auf eine Blasenentzündung geschlossen und ein Antibiotikum verordnet werden sollte“, erläutert Frau Dr. Bettina Sauer von der Stiftung Warentest gegenüber Medscape Deutschland. „Diese Szenarien hatten wir vorher in der Zusammenarbeit mit Ärzten entwickelt“.

Die Ärzte von DrEd können dagegen laut ihrem Antwortschreiben nicht nachvollziehen, „aus welchem Grund Behandlungen von DrEd ein ‚immenses Risiko von Fehlbehandlungen‘ darstellen.“ In ihrem letzten Statement geben sie an, dass sie aus einigen der Kritikpunkte gelernt haben, andere jedoch darauf zurückführen, dass „Ärzte unterschiedliche Richtlinien abhängig von der hausärztlichen- und fachärztlichen Praxis“ verwenden.

Arzt-Patient-Verhältnis in der Telemedizin

Zu besonders kontroversen Diskussionen führt die Frage nach dem Arzt-Patient-Verhältnis bei der Telemedizin. Die Bundesärztekammer betont in der zitierten Stellungnahme, das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient sei die Grundlage jeder Behandlung und könne nur aufgrund eines persönlichen Kontakts geschaffen werden. Diagnose und Behandlung allein über das Internet könnten nicht im Interesse des Patienten sein. „Vor diesem Hintergrund“ sehe die Bundesärztekammer „Angebote wie ‚DrEd‘ äußerst skeptisch. Telemedizinische Verfahren können ärztliches Handeln unterstützen, sie sind aber kein Instrument, um ärztliche Kompetenz zu ersetzen.“ Telemedizin müsse der Patientenversorgung dienen und nicht der Erschließung neuer Absatzmärkte für die Industrie, hieß es weiter.

Anlässlich der Testergebnisse der Stiftung Warentest wurde in diesem Zusammenhang ein konkreter Fall diskutiert, bei dem die Testperson den Ärzten laut Testbericht „eine freche Lüge“ auftischte. Die Ärzte von DrEd betonen in diesem Zusammenhang, „dass jeder Arzt, ob traditionell oder telemedizinisch tätig, auf die positive Mitwirkung des Patienten angewiesen ist.“

Wie in einer traditionellen Arzt-Konsultation könnzen Patienten natürlich auch bei DrEd falsche Angaben machen oder Teile der Wahrheit verschweigen. „Wir denken nicht“, hieß es weiter, „dass es die Rolle des behandelnden Arztes sein kann, Patienten unter Generalverdacht ins Verhör zu nehmen. Wenn wir Grund zu der Annahme haben, dass eine Behandlung schadhaft sein könnte, fragen wir nach.“ 

Frau Dr. Ursula Loggen und Isabell Eigner von der Stiftung Warentest erwiderten darauf  in ihrem Antwortschreiben [5]: „Allerdings ist von allen Ärzten zu erwarten, dass sie während der Anamnese ungenaue Angaben hinterfragen und die Durchführung von diagnostisch notwendigen Tests sicherstellen. Es geht nicht darum, Patienten die Eigenkompetenz und -verantwortlichkeit abzusprechen, sondern darum, dass der Patient nicht wissen kann, dass sich hinter den von ihm wahrgenommenen Symptomen genauso gut eine andere Krankheit verbergen kann.“

Patienten sind eingeladen, sich selbst ein Urteil zu bilden

Meinertz lädt „den mündigen Patienten“ in seinem dazu ein, „sich selbst ein Urteil über unsere ärztliche Leistung zu bilden“. Gegenüber Medscape Deutschland hält er fest: „Die DrEd Online-Arztpraxis ist eine neue Form der ärztlichen Versorgung, die bestehende Strukturen nicht ersetzt, sondern ergänzt. Wir möchten die Kranken erreichen und zu Patienten werden lassen, die sonst viel zu spät oder gar nicht ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Heute können uns Patienten online konsultieren und ab Oktober auch per Telefon oder Video-Sprechstunde. Diese Form der ärztlichen Versorgung ist eine verantwortliche, kosteneffiziente und patientenfreundliche Medizin, die seit Jahren in England und der Schweiz legal, reguliert und erfolgreich angewendet wird.“

Sauer erläutert das Anliegen der Stiftung Warentest betont gegenüber Medscape Deutschland: „Es gibt noch nicht viele Online-Arztpraxen auf dem deutschen Markt. Wir haben uns nur DrEd angesehen und hier nur einen stichprobenartigen Test gemacht.“ Dennoch bleibt die Stiftung Warentest dabei: Von einer Behandlung bei DrEd rät sie den Verbrauchern ab.

Referenzen

Autoren und Interessenskonflikte

Janna Degener
Es liegen keine Interessenkonflikte vor

Dr. Sauer: Es liegen keine Interessenskonflikte vor.
D. Meinertz: Es liegen keine Interessenskonflikte vor.

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