Eine aktuelle Studie im British Medical Journal lässt den Schluss zu, dass die Hormon-Ersatztherapie (HRT) bei frühzeitigem Beginn in der Peri- und Postmenopause doch kardioprotektiv sein könnte, dass die Inzidenz von Brustkrebserkrankungen doch nicht ansteigt und dass Thrombembolien und zerebrovaskuläre Events zumindest nicht zunehmen [1].

In einer aktuellen Anwendungsempfehlung sprechen sich jetzt führende gynäkologische Fachgesellschaften dafür aus, den Rückgang der intestinalen Karzinome und eine mögliche Alzheimer-Prävention bei der Beratung der Patientinnen verstärkt einzubeziehen. Kommt die HRT zurück? Medscape Deutschland sprach mit Prof. Dr. med. Christian Thaler von der Frauenklinik der Ludwig-Maximilian-Universität München.
Medscape Deutschland: Herr Prof. Thaler, muss man die Women‘s-Health-Initiative-Studie zu den Akten legen?
Prof. Thaler: Die WHI-Studie war eine große und methodisch sehr sauber angelegte Untersuchung, die uns viele wichtige Erkenntnisse zur Anwendung der Hormontherapie in der Postmenopause gebracht hat. Die zahlreichen Metaanalysen und auch weitere, neue Studien helfen uns jedoch, die damaligen Ergebnisse in einem anderen Licht zu betrachten.
Medscape Deutschland: Welches sind die wichtigsten Argumente, die sehr ungünstigen Ergebnisse für die HRT nach der WHI-Studie zu relativieren?
Prof. Thaler: Die Patientinnen in der WHI-Studie hatten das Medikament nicht wegen ihrer Wechseljahresbeschwerden erhalten, sondern primär zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie hatten ein Durchschnittsalter von über 60 Jahren und hatten vielfach erhebliche kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Übergewicht und Nikotinabusus.
Viele dieser Patientinnen wurden bis zu zehn Jahren behandelt und einige hatten schon zuvor eine HRT erhalten. Dieses Kollektiv entspricht nicht unseren Patientinnen in Deutschland, so dass die Risikokonstellationen nicht vergleichbar sind. Außerdem wurde ein orales Kombinationspräparat verwendet, das wir heute in Deutschland längst nicht mehr verordnen würden, mit einem hierzulande eher unüblichen Gestagen.
Medscape Deutschland: Welche Strategien gibt es gegen das erhöhte Thromboserisiko?
Prof. Thaler: Wir verwenden heute vor allem transdermale Systeme, unter denen es womöglich sogar in Risikokollektiven praktisch keine oder allenfalls eine minimale Erhöhung des thrombotischen Risikos gibt.
Medscape Deutschland: Wie sieht es mit dem Brustkrebsrisiko aus?
Prof. Thaler: Schon lange wird diskutiert, dass durch die HRT nicht die Zahl der Mammakarzinome selbst steigt, sondern dass vor allem das Wachstum von Tumoren stimuliert wird, die sonst eventuell vielleicht nie klinisch auffällig geworden wären. Zudem deuten Meta-Analysen der WHI-Studie darauf hin, dass es gar nicht - wie lange angenommen - der Östrogenanteil ist, der das Krebswachstum beschleunigt, sondern der Gestagenanteil:
In dem Östrogen-Mono-Arm der WHI-Studie bei hysterektomierten Frauen war das Brustkrebsrisiko sogar geringfügig niedriger als in der Plazebogruppe. Dosiert man das Gestagen niedriger oder lässt es ganz weg, dann wirkt dies dem Wachstum dieser Karzinome offenbar entgegen.
Medscape Deutschland: Gestagene hat man bisher gleichwohl der HRT zugesetzt, um das Risiko für Endometriumkarzinome zu beherrschen.
Prof. Thaler: Hier kommt die Arzneimittelgruppe der selektiven Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERMs) ins Spiel, die früher schon als Alternative zur Östrogen-Gestagen-Substitution in der Postmenopause diskutiert worden sind, dann aber wegen ihrer erheblichen Nebenwirkungen zunächst wieder verworfen wurden.
Sie kommen ursprünglich aus der Osteoporose-Prophylaxe. Neuere SERM-Varianten haben, niedrig dosiert, genau denselben protektiven Effekt am Endometrium wie Gestagene. Zudem senken sie die Inzidenz osteoporotischer Frakturen und möglicherweise sogar die von Brustkrebs.
Medscape Deutschland: Werden SERMs in Zukunft die Gestagene in der HRT ersetzen?
Prof. Thaler: Das ist durchaus denkbar. SERMs verursachen ja, wenn sie allein gegeben werden, Menopause-ähnliche Symptome. Durch die gleichzeitige Gabe von Östrogen werden diese Nebenwirkungen verhindert. Wir könnten damit künftig möglicherweise die positiven Wirkungen einer Östrogentherapie auf die Symptome der Menopause kombinieren mit einem erniedrigten Risiko für Mamma- und Endometriumkarzinome, mit dem bekannten Schutz vor Kolonkarzinomen, vor allem bei jüngeren Frauen mit einem moderat kardioprotektiven Effekt.
Eine Erhöhung des Thromboserisikos müsste dann allerdings wieder berücksichtigt werden, selbst bei Verwendung transdermaler Systeme, weil Gerinnungsprobleme zum Nebenwirkungsprofil der SERMs gehören.
Medscape Deutschland: Wird es zu einer Renaissance der HRT kommen?
Prof. Thaler: Ich hoffe, dass die Phase der teilweise sehr polemisch gefärbten Hormonverteufelung endlich vorbei ist und einer sachlichen Bewertung der HRT Platz macht. Angesichts der jetzt vorliegenden Daten können wir wichtige Modifikationen wie Östrogendosis, Applikationsart, Therapiedauer sowie ggf. den gestagenen Kombinationspartner so wählen, dass damit den meisten Frauen, die unter den Symptomen der Wechseljahre leiden, sehr effektiv und sicher geholfen werden kann.
Medscape Deutschland: Ist die Kombination aus Östrogen mit SERMs schon praxisreif?
Prof. Thaler: Es gibt es vielversprechende klinische Studien mit konjugierten Östrogenen in fixer Kombination mit dem SERM Bazedoxifen. Hier findet sich eine sehr gute Verträglichkeit bei hoher endometrialer Sicherheit. Für eine Bewertung der Effekte auf die Mammakarzinominzidenz sind die Beobachtungszeiten allerdings noch deutlich zu kurz.
Medscape Deutschland: Herr Prof. Thaler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.