Morbus Parkinson: Auf der Suche nach geeigneten Prädiktoren

Andrea S. Klahre | 19. Oktober 2012

Autoren und Interessenskonflikte

Hamburg – Die Fratze des demographischen Wandels wird durch Bilder wie dieses nicht weniger hässlich: „Wenn ich Rentner bin, möchte ich den ganzen Tag mit einem Tretroller über genoppten Gummiboden fahren“, hat ein Visionär in den Tiefen des Internets hinterlassen. Kerngesund klingt anders, besonders mit neurologischer Weltsicht und unter dem Eindruck einer Prognose, die Ende September in Hamburg auf dem 85. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) abgegeben wurde:

„Wir werden in 20 Jahren fast nur noch ZNS-Erkrankungen haben“, sagte Prof. Dr. med. Wolfgang Oertel, Direktor der Klinik für Neurologie an der Philipps Universität Marburg, und Präsident der DGN [1]. „Die Zahlen der zwei häufigsten degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, Morbus Alzheimer und Morbus Parkinson, werden sich verdoppelt haben.“

Derzeit leiden hierzulande mehr als 1,2 Millionen Menschen an einer Demenz, 80 % von ihnen an Alzheimer, etwa 250.000 leben mit Parkinson. Die gute Nachricht zumindest in Bezug auf Parkinson lautet: Es zeichnen sich viele neue Entwicklungen ab. Zahlreiche internationale Arbeitsgruppen forschen mit Nachdruck an der Aufklärung der Ursachen und der zu Parkinson-verwandten Bewegungsstörungen, um geeignete Wege zu finden, Ausbruch und Progredienz zu verlangsamen oder gar zu verhindern.

Sprechen, lachen, schreien, schlagen – und alles im Schlaf

Eine entscheidende Rolle spielt die Suche nach geeigneten Parkinson-Prädiktoren. Denn zu den wesentlichen neueren Erkenntnissen gehört die Tatsache, dass es bereits Jahre bis Jahrzehnte vor einer möglichen Diagnose zu langsam voranschreitenden neuropathologischen Veränderungen im Gehirn kommt. Die typischen motorischen Symptome treten erst auf, wenn mehr als die Hälfte der dopaminergen Neuronen der Substantia nigra zu Grunde gegangen sind.

„Parkinson beginnt im Hirnstamm und im Riechkolben. Wenn wir Prävention machen wollen, müssen wir ins Gehirn, bevor die dopaminergen Strukturen zerstören“, betonte Oertel und nannte die “rapid eye movement behaviour disorders” (RBD) bzw. REM-Schlafverhaltensstörungen als markantesten prämotorischen Marker: „Wenn ein Mensch nachts im Schlaf spricht, lacht oder schreit, um sich schlägt, Tritte verteilt und bisweilen seinen Bettpartner und sich selbst durch einen Sturz aus dem Bett verletzt, wissen Sie: In 20 Jahren hat der Parkinson.“

RBD sind mit einem hohen Risiko für die spätere Entwicklung eines M. Parkinson assoziiert. Je nach Studie beträgt es 18 - 46 % [2], Oertel legte noch nach: „60 bis 70 Prozent der Patienten, die an einer REM-Schlafverhaltensstörung leiden, entwickeln nach 10 bis 30 Jahren Morbus Parkinson.“

Die Skelettmuskelatonie ist aufgehoben

Die REM-Schlafverhaltensstörung ist eine klinisch eindrucksvolle Störung der Schlafstruktur. Erstmals beschrieben wurde sie 1986, meist beginnt sie ab dem 55. Lebensjahr, betroffen sind 1/200.000 Personen, Männer mit 87,5 % überdurchschnittlich häufiger als Frauen – wenngleich nicht alle Studien eine Geschlechtspräferenz ergeben, es besteht eine mehr oder minder deutliche Assoziation zu häufigeren Stürzen und einer höheren psychiatrischen Komorbidität.

Die im Schlaf sonst übliche Skelettmuskelatonie ist vor allem in der zweiten Nachthälfte aufgehoben, aktionsgeladene oder aggressive Trauminhalte werden regelrecht ausagiert – mit der Folge eines potenziell selbst- oder fremdgefährdenden Verhaltens. Die Patienten haben in der Regel kein Bewusstsein für ihre Bewegungen, berichten aber beispielsweise davon, dass sie im Traum attackiert wurden und sich zur Wehr setzen mussten.

Pathophysiologisch lässt sich die Verbindung zwischen RBD und M. Parkinson mittels des pathoanatomischen Stufenmodells nach Braak erklären: Lewy Bodies als Parkinson-typische Veränderungen sind bereits in prämotorischen Parkinson-Stadien im Pons und in der Medulla oblongata zu finden. In diesen Hirnstammregionen liegen auch für die Regulation des REM-Schlafs wichtige Kerngebiete [3].

In aller Regel werden RBD als idiopathisch bezeichnet, Auslöser kann aber auch die Einnahme von Medikamenten sein, z. B. von trizyklischen Antidepressiva. Bei Verdacht auf RBD gehört neben einer ausführlichen Anamnese, die idealerweise 13 Fragen des RBD Screening Questionnaire (RBDSQ) beinhaltet, und einer klinisch-neurologischen Untersuchung differentialdiagnostisch unabdingbar die Polysomnographie stationär im Schlaflabor dazu. Zur Therapie gibt es nicht viel zu sagen. Es stehen keine heilenden oder zufriedenstellenden Optionen zur Verfügung, große Studien fehlen. Wenige Fallberichte haben eine Besserung der RBD-Symptomatik unter dem Benzodiazepin Clonazepam (0,5-1,0 mg) ergeben, möglicherweise auch unter Melatonin [2].

RBD markieren nicht nur Morbus Parkinson

Somit hat die Diagnose RBD auch eine ethische Komponente: Nicht jeder erträgt das Wissen, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit eines fernen Tages ein Parkinson-Patient wird – oder Patient einer anderen neurodegenerativen Erkrankung. Denn RBD können auch einer Lewy-Körperchen-Demenz vorausgehen. Oder der seltenen, rasch fortschreitenden Multisystematrophie (MSA), einer Kombination von Symptomen, wie sie bei Morbus Parkinson und bei Störungen des Vegetativums und Kleinhirns auftreten. Die Prävalenz beträgt etwa 4,4/100.000 Personen, die Erkrankung tritt zwischen der 4. und 6. Dekade mit einem Erkrankungsgipfel um das 57. Lebensjahr auf, sie führt binnen 3 bis 5 Jahren zum Verlust der Gehfähigkeit und nach 8 bis 10 Jahren zum Tod.

„Darüber hinaus geht die REM-Schlafstörung nur bei einer Subgruppe von Parkinsonpatienten den motorischen Symptomen voran“, sagte Prof. Dr. med. Daniela Berg, Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, Zentrum für Neurologie und Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Universitätsklinikum Tübingen, ebenfalls in Hamburg [4]. „Die zwei Tatsachen limitieren den Nutzen dieses Symptoms als prämotorischen Marker.“

Das gelte sowohl bezüglich der Sensitivität als auch der Spezifität. Zu den prämotorischen Markern zählen laut Berg viele Symptome, die gerade bei Älteren zunächst unspezifisch seien: Eine Hyposomnie beispielsweise würde das Parkinsonrisiko um ein 3- bis 5-Faches erhöhen, eine Depression um das etwa 3-Fache. „Die meisten dieser Betroffenen werden aber nie einen Morbus Parkinson entwickeln. Das sollte immer beachtet werden, um einer Verunsicherung der Bevölkerung vorzubeugen.“

Hyperechogenität der Substantia nigra als wichtigster bekannter Risikofaktor

Als spezifischer Frühmarker eigne sich aber auch eine per transkranieller Sonographie (TCS) festgestellte Hyperechogenität der Substantia nigra nicht, da davon etwa 10-mal mehr Menschen betroffen seien als an Parkinson erkranken. Allerdings scheine die SN-Hyperechogenität der bislang wichtigste bekannte Risikofaktor zu sein und die TCS gut geeignet, um eine besonders ausgeprägte (genetische) Vulnerabilität für Parkinson zu bestimmen.

Zu diesem Ergebnis war Berg als Leiterin der 2011 publizierten PRIPS-Studie (Prospective Validation of Risk Factors for the Development of Parkinsonian Syndromes) gekommen. Gemeinsam mit Kollegen der Universitäten von Homburg und Innsbruck hatte sie mit 1.847 >50-Jährigen darstellen können, dass Teilnehmer, deren Substantia nigra im Ultraschall stark reflektierende echoreiche Strukturen zeigte, ein 17,4-fach erhöhtes Risiko aufwiesen, binnen 3 Jahren an Parkinson zu erkranken [5].

„Zurzeit ist es nicht möglich, die Diagnose so früh zu stellen, wie es für eine verlaufsmodifizierende Therapie nötig wäre“, schloss Berg.

International werden jedoch fleißig Methoden für Neuroprotektions-Studien entwickelt und Langzeitstudien mit Risikokohorten durchgeführt. In Deutschland ist unter anderem Tübingen (Prof. Berg) mit der TREND-Studie dabei (www.trend-studie.de); in Marburg (Prof. Oertel) wurde eine internationale RBD-Studiengruppe gegründet, für die noch Probanden gesucht werden. Ein Link ist leider nicht möglich, da die Internetpräsenz der Klinik für Neurologie unter dem Stichwort Forschung seit einigen Jahren verwaist ist. Irgendwie passt dazu ein Satz des Moderators des Kongresses, Dr. med. Eckard von Hirschhausen, wonach die Neurologen kein Wissens-, sondern ein Umsetzungsproblem haben.

Foto: Deutsche Gesellschaft für Neurologie

Referenzen

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  1. 85. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). 26.-29. September 2012, Hamburg. Pressekonferenz, 27.9.2012
    http://www.dgnkongress.org/
  2. 85. Kongress der DGN, 28.9.2012, Hamburg. Trenkwalder C: Abstract V 265
  3. Braak H et al.: J Neurol, 2002; 249(3):III/1-5
  4. 85. Kongress der DGN, 28.9.2012, Hamburg. Berg D: Abstract V 239
  5. Berg D et al.: JAMA (online) 11. Juli 2011; DOI: 10.1001/archneurol.2011.14
    http://archneur.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=1108030

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