Kinder, die im ersten Lebensjahr antianaerobe Antibiotika erhielten, hatten ein fünffach erhöhtes Risiko, eine chronisch entzündliche Darmerkrankung (CED) zu entwickeln, als diejenigen, die diese Mittel nie erhielten. Zu diesem Ergebnis kamen Forscher einer retrospektiven Kohortenstudie mit mehr als einer Million Kindern.
Dr. Matthew P. Kronman, MSCE, Professor für pädiatrische Infektionskrankheiten in der Abteilung für Infektionskrankheiten am Seattle Children's Hospital und an der Universität von Washington in Seattle, und seine Mitarbeiter stellten ihre Ergebnisse in einem Artikel vor, der am 24. September online in Pediatrics veröffentlicht wurde.
Teilnehmer aus britischem Netzwerk
„Wir wollten die Verbindung zwischen der Gabe von antianaeroben Antibiotika in der Kindheit und der nachfolgenden Entwicklung einer CED unter Anwendung einer großen bevölkerungsbasierten Kohorte untersuchen. Wir stellten die Hypothese auf, dass die Exposition gegenüber Antibiotika mit anaerober Aktivität mit der Entwicklung einer CED assoziiert sein könnte“, schreiben die Autoren.
Sie werteten Daten von 464 Ambulanzpraxen in Großbritannien aus, die am Gesundheitsverbesserungsnetzwerk (Health Improvement Network) teilnahmen. Die Daten aller Kinder, zu denen mindestens Daten aus zwei Jahren zwischen 1994 und 2009 vorlagen, wurden zwischen der Aufnahme in die Praxis und dem Entwickeln einer CED, der Abmeldung aus der Praxis, dem Alter von 19 Jahren oder dem Versterben ausgewertet. Die Prüfärzte schlossen Kinder mit einer vorherigen CED aus.
Insgesamt lieferten 1.072.426 Patienten 6,6 Millionen Personenjahre an Nachbeobachtung. Von diesen Patienten erkrankten 748 (0,07 %) an einer CED. Dies ergab eine Gesamtinzidenzrate von 1,2/10.000 Personenjahre. Von den 225.100 Patienten, deren Daten ab Geburt ausgewertet wurden, entwickelten nur 30 Patienten eine CED. Daher waren sinnvolle Analysen in dieser Teilgruppe nicht möglich.
Unter den 748 Kindern, die an einer CED erkrankten, betrug die mittlere Latenzzeit zwischen dem ersten Arztbesuch mit einer gastrointestinalen Diagnose, die einen Verdacht auf CED nahelegte, und der ersten Diagnose mit einer CED 3,9 Monate (Quartilsabstand [interquartile range, IQR], 0,5–7,9 Monate). Für 68,2 % betrug die Latenzzeit bis zu einem Jahr. Innerhalb von 5 Jahren vor der Zensur wurden weniger als 25 % der anderen Kinder mit einer möglichen CED diagnostiziert.
Einnahme von Antibiotika
Über die Hälfte der Patienten (57,7 %) erhielt zumindest ein antianaerobes Antibiotikum in Form von Penicillin, Amoxicillin, Ampicillin, einer Kombination aus Penicillin und ß-Lactamase-Inhibitor, Tetracyclinen, Clindamycin, Metronidazol, Cefoxitin, Carbapenem oder oralem Vancomycin.
Die Patienten nahmen im Mittel eine Woche lang antianaerobe Antibiotika ein (IQR 0 – 2 Wochen): 42,3 % erhielten keine, 31,9 % erhielten sie für ein bis zwei Wochen und 25,8 % nahmen sie länger als zwei Wochen ein.
Sowohl in der Gruppe, die Antibiotika nahm, als auch in der Gruppe, die keine nahm, entwickelten 0,07 % der Kinder CED. Allerdings betrug die Inzidenzrate in der Gruppe, die keine Antibiotika nahm, 0,83/10.000 Personenjahre und in der Gruppe, die Antibiotika nahm, 1,52/10.000 Personenjahre. Dies ergab eine absolute Risikozunahme von 0,69 Fälle/10.000 Personenjahre und eine relative Risikozunahme von 84 %.
In der eindimensionalen Analyse war jede Exposition gegenüber antianaeroben Antibiotika mit der Entwicklung einer CED assoziiert (p < 0,001, Logrank-Test). Es gab eine Dosis-Wirkungsbeziehung (p < 0,001, Logrank-Test) und diese Verbindung bestand signifikant in der gesamten Kindheit.
Die Forscher adjustierten in der mehrdimensionalen Analyse bezüglich folgender Variablen: Familienanamnese mit CED, Geschlecht, septische Granulomatose, primär sklerosierende Cholangitis und sozioökonomische Deprivation. Die Forscher wiesen nach, dass die Exposition im Alter von einem Jahr mit einem 5,5fachen Risiko für CED einherging (bereinigte Hazard-Ratio [aHR] 5,51; 95 %-iges Konfidenzintervall [KI] 1,66 – 18,28) im Vergleich zu denjenigen, die nie Antibiotika erhielten. Die Exposition im Alter von 5 Jahren führte zu einem reduzierten Risiko für CED (aHR 2,62; 95 %-iges KI 1,61 – 4,25) und im Alter von 15 Jahren zu einem weiterhin reduzierten Risiko (aHR 1,57; 95 %-iges KI 1,35 – 1,84).
Jede Exposition erhöht das Risiko
Jeder Behandlungszyklus mit antianaeroben Antibiotika war mit einem um 6 % erhöhten CED-Hazard verbunden (aHR 1,06; 95 %-iges KI 1,04 – 1,08). Eine Woche Exposition gegenüber Antibiotika war mit einer Erhöhung des Hazard um 1 % assoziiert (aHR 1,01; 95 %-iges KI 1,00 – 1,02). Die Exposition gegenüber mehr als zwei Zyklen mit antianaeroben Antibiotika innerhalb des ersten Lebensjahres wies eine höhere Verbindung zu CED auf als die Exposition gegenüber einem oder zwei Zyklen, wobei die aHR 4,77 (95 %-iges KI 2,13 – 10,68) gegenüber 3,33 (95 %-iges KI 1,69 – 6,58) betrug.
Die Einnahme von Antibiotika wie Penicillinen, Breitspektrum-Penicillinen und Cephalosporinen war im Gegensatz zu Antibiotika wie Makrolid, Sulfoxid und Tetracyclin mit der Entwicklung einer CED verbunden. Die Exposition gegenüber Metronidazol oder einem Fluorchinolon (2 potenzielle CED-Behandlungen) war mit einer Entwicklung einer CED assoziiert. Diese von den spezifischen Medikamenten abhängige Entwicklung blieb auch nach der erneuten Überprüfung auf CED als Outcome bestehen, auch wenn man auf die erste Verordnung von Metronidazol oder von Fluorchinolon im Jahr vor der Diagnose mit CED rekurrierte. Dies weist darauf hin, dass eine fehlerhafte Klassifizierung des Outcome nicht vorlag, schreiben die Autoren. Exposition gegenüber Fluorchinolon (aHR 2,09; 95 %-iges KI 1,10 – 3,98]) und Metronidazol (aHR 186,25; 95 %-iges KI 10,86 – 3193,65) innerhalb des ersten Lebensjahres.
In den beiden CED-Teilgruppen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa waren die Ergebnisse ähnlich, wobei sie aber nicht altersabhängig variierten. Das primäre Outcome wurde durch die Anwendung der Empfindlichkeitsanalyse nicht verändert, bei der alle fehlenden Townsend-Scores erst der höchsten und dann der niedrigsten Deprivationskategorie zugeordnet wurden. Die Empfindlichkeitsanalyse mit einer einjährigen Latenzzeit veränderte die Genauigkeit und die Größenordnung des primären Outcome, nicht aber die Ausrichtung: Exposition im ersten Lebensjahr gegenüber jedwedem antianaeroben Antibiotika (aHR 3,73; 95 %-iges KI, 1,17 – 11,84), jeder Zyklus mit Antibiotika (aHR 1,03; 95 %-iges KI 0,99 – 1,06), Exposition gegenüber einem bis zwei Zyklen von Antibiotika (aHR 2,18; 95 %-iges KI 1,07 – 4,50) und Exposition gegenüber mehr als zwei Zyklen von Antibiotika (aHR 4,14; 95 %-iges KI, 1,74 – 9,87).
„Unsere Studienergebnisse lassen den Schluss zu, dass eine Reduzierung von antianaeroben Antibiotika im Kindesalter möglicherweise das Potenzial haben könnte, die steigende Anzahl von CED bei Kindern zu reduzieren. Die Studie lasse viele Fragen offen, wie z. B. ob spezielle schwierig zu züchtende Organismen eine Rolle in der CED-Pathogenese oder zum Schutz vor einer CED spielen oder ob die Veränderung der Darmflora durch Antibiotika das Immunsystem direkt beeinflusst, schreiben die Autoren.
Störung des Darmmikrobioms durch Antibiotika
Dr. Sonia Michail, eine Wissenschaftlerin am Saban Research Institute of Children's Hospital Los Angeles, Kalifornien, USA, und Professorin für Klinische Pädiatrie an der Keck School of Medicine der University of Southern California, USA, kommentierte diese Studie in einem E-Mail-Interview gegenüber Medscape Medical News.
Michail war von der Verbindung zwischen den Antibiotika und der Entwicklung einer CED nicht überrascht. Was sie aber überraschte, war die Stärke der Verbindung.
„Diese Forschungsarbeit bestätigt einmal mehr den beträchtlichen Einfluss, den das Darmmikrobiom auf die Entwicklung von Darmkrankheiten hat und weist darauf hin, dass eine Störung des Darmmikrobioms im frühkindlichen Alter, in dem sich das Immunsystem noch in der Entwicklung befindet, einen Einfluss auf die Krankheitsinzidenz einige Jahre später haben kann. Diese Studienergebnisse reihen sich ein in unser Wissen über die Wirkung von antimikrobischen Therapien auf das Darmmikrobiom“, erklärte Michail.
„In dieser Studie wird herausgestellt, wie wichtig es ist, Antibiotika wohl überlegt einzusetzen, und dies besonders bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern, die eine Familienanamnese mit CED aufweisen, da diese ein höheres Risiko haben, später an einer CED zu erkranken. Das potenzielle Risiko, das die antimikrobische Behandlung bei Säuglingen und Kindern mit sich bringt, wird in dieser Studie verstärkt beleuchtet“, sagte Michail.
Dieser Artikel wurde von Dr. Katharina Freche aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.