Immer mehr, immer dicker: Die westliche Welt ist voller adipöser Kinder und Jugendlicher. Gezielte Sport- und Motivationsprogramme sollen das Fett schmelzen lassen. Doch was ist dran an solchen Programmen? Helfen sie wirklich dabei, die Gesamttagesaktivität zu steigern?
Mit dieser Fragestellung haben Dr. Brad Metcalf, Statistiker am Department of Endocrinology and Metabolism am Peninsula College of Medicine and Dentistry, Campus Plymouth University, Plymouth/UK, und seine Kollegen eine Meta-Analyse durchgeführt [1]. Das jetzt im British Medical Journal publizierte Ergebnis ist ernüchternd: „Bewegungsprogramme haben einen nur geringen Einfluss auf die Gesamtaktivität und damit auf den Körperfettanteil und das Gewicht der Kinder“, schreiben die Autoren.
Die Wissenschaftler haben nach einer systematischen Literaturrecherche aller zwischen 1990 und 2012 in internationalen peer reviewed journals publizierten Studien (n=344) insgesamt 30 geeignete in ihre Meta-Analyse aufgenommen. Diese waren randomisiert und kontrolliert und sind zwischen Mai 2003 und Dezember 2011 veröffentlicht worden. Viele der nicht geeigneten Studien haben laut Metcalf zwar einen Zusammenhang zwischen höherem Aktivitätslevel und geringerem BMI gezeigt. Gleichwohl seien nicht alle Bewegungsprogramme sinnvoll, denn sie steigern die Gesamttagesaktivität nicht. Eben diese sei nicht immer überprüft worden. Einige Studien hätten sogar nur Fragebögen verwendet, statt mittels Pedometern zu messen, wie viele Schritte die Kinder täglich auch tatsächlich gelaufen waren.
Mehr als 14.000 Kinder und Jugendliche <16 Jahre
Somit wurden für die Meta-Analyse incl. Meta-Regression insgesamt 14.326 Teilnehmer von Aktivitätsprogrammen <16 Jahren erfasst, bei 6.153 waren Beschleunigungsmesser eingesetzt worden. Alle Probanden hatten an einem mindestens 4 Wochen andauernden Sportprogramm teilgenommen (schulisch oder privat initiiert). 2 Studien hatten nur Mädchen, 2 nur Jungen, 8 ausschließlich fettleibige junge Probanden aufgenommen, die Teilnehmer der anderen 22 Studien hatten sich aus allen BMI-Kategorien zusammengesetzt. Die jeweilige Studiendauer hatte +/- 6 Monate betragen.
Alle Daten wurden bezüglich Geschlecht, Alter, Ethnien, sozioökonomischem Status und Basisaktivität abgeglichen. Die Effektivität der Sportprogramme wurde sowohl aus der gesamten körperlichen Aktivität errechnet als auch aus Aktivitäten mit großer oder moderater Anstrengung.
Metcalf und sein Team gelangen zu dem Ergebnis, dass verschiedene Sport- und Motivationsprogramme mit ungefähr 4 Minuten mehr Gehen oder Laufen pro Tag eine geringe bis vernachlässigbare Steigerung der Gesamttagesaktivität von Kindern erbrachten. Das wiederum hatte keine nennenswerten Auswirkungen auf BMI oder Körperfettanteil und war gleichzusetzen mit einer Reduktion des Körperumfangs um 2 Millimeter.
Der über alle Studien gepoolte Interventionseffekt betrug 0,12 (95 % CI: 0,04 - 0,20), bei moderater bis starker körperlicher Aktivität wurden die Werte mit 0,16 (95 % CI: 0,08 - 0,24) nur unwesentlich besser. Auch die Meta-Regression zeigte, dass die Effekte sich zwischen den einzelnen Subgruppen nicht wesentlich unterschieden, sie betrugen beispielsweise bei der Gesamtaktivität 0,07 für Kinder <10 Jahren und 0,16 für Kinder >10 Jahren.
Ineffiziente Ersatzprogramme fürs „draußen spielen“
Die Forscher vermuten nun, dass solche Programme lediglich das „draußen toben“ bzw. „draußen spielen“ – z. B. auf Spielplätzen oder in Sportvereinen – ersetzen und regen deshalb für weitere Studien an, den Fokus weniger auf übergewichtige und fettleibige Kinder zu richten, sondern zu untersuchen, wie sich Gesundheit und Wohlbefinden von Kindern unabhängig von deren Gewicht verbessern und sich das – eigentlich – natürliche Bewegungsbedürfnis von Kindern steigern ließe.
In einem begleitenden Leitartikel [2] schreibt Dr. Mark Hamer vom Department of Epidemiology and Public Health, University College London, dass die von Metcalf und Kollegen gewählten Analyse-Methoden zwar „inhärente Grenzen“ haben, dass die Studie aber die bislang beste Bewertung von Aktivitätsprogrammen für Kinder und Jugendliche liefere.
Prof. Dr. med. Hans Hauner, Direktor des Else-Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin an der Technischen Universität München, und Präsident der Deutschen Adipositas Gesellschaft, sagte Medscape Deutschland: „Die Ergebnisse sind völlig korrekt. Wir erleben oft, dass bei solchen Programmen wenig herauskommt. Ein Beispiel: Jemand macht dreimal in der Woche für eine halbe Stunde Sport, pro Einheit werden circa 300 Kalorien verbraucht, in der Woche sind das noch nicht mal 1.000 Kalorien. Das spielt in der Energiebilanz praktisch keine Rolle. Manchmal wird mehr Bewegung mit mehr essen kompensiert, dann ist der Effekt gleich null.“
Kinder brauchen erwachsene Vorbilder, die sie motivieren
Was tun? Es hilft nur, die Rahmenbedingungen zu ändern, so Hauner, und zählt auf: Mehr und besserer Schulsport, ein anderes Verständnis von Bewegung und Sport – das muss Spaß machen, „schick“ werden – und natürlich von Ernährung. „Eigentlich sind Kinder und Jugendliche offen für Sport und Bewegung, doch sie brauchen erwachsene Vorbilder, die sie motivieren und gern etwas mit ihnen unternehmen.“ Zum Beispiel die Eltern und Lehrer.
Ein Umfeld, das alles tut, damit sich Kinder nicht mehr bewegen können und müssen, ist mitverantwortlich für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung.