Kraut und Rüben – Antibiotikaeinsatz in Deutschland

Dr. Carola Göring | 1. Oktober 2012

Autoren und Interessenskonflikte

 

Dr. med. Volker Schuster
 

Infektionskrankheiten bei Kindern stehen im Mittelpunkt des 15. Infektiologischen Intensivkurses der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI e.V.) [1]. Das Themenspektrum ist breit gefächert. Medscape Deutschland sprach mit einem der beiden Tagungspräsidenten, Prof. Dr. med. Volker Schuster von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universita¨tsklinikum Leipzig.

Medscape Deutschland: Was sind die Highlights des 15. Infektiologischen Intensivkurses (IIK) der deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie?

Prof. Schuster: Bei vielen Themen in der Infektiologie hat sich nur wenig geändert, schließlich werden heutzutage äußerst selten neue Infektionskrankheiten entdeckt. Bei der diesjährigen Fortbildung legen wir den Fokus auf die Standardisierung von Therapien. Wenn ich zum Beispiel ein Kind mit einer Pneumonie habe, ist es wichtig, dieses nach einheitlichen Maßstäben zu behandeln. So sollte immer eine klare Indikation vorliegen und Antibiotika nur dann eingesetzt werden, wenn sie wirklich nötig sind.

Medscape Deutschland: Welche Standards legen Sie an?

Prof. Schuster: Standardisierung hat viel mit Qualität zu tun. Der Patient soll eine Therapie bekommen, die sich bewährt hat, zum Beispiel in Studien. Wirkt ein Antibiotikum nachweislich besser als ein anderes, dann soll der Patient auch das Bessere bekommen. Bei einer bakteriellen Otitis media zum Beispiel hilft Amoxicillin plus Clavulansäure am besten und hat die wenigsten Nebenwirkungen. Häufig werden jedoch weniger wirksame Antibiotika eingesetzt wie beispielsweise Azithromycin. Es gibt verschiedene Studien, wie die von der Bertelsmann-Stiftung beauftragte Studie Faktencheck "Antibiotika-Verordnungen bei Kindern", die von der Universität Bremen mit Daten der BARMER GEK erstellt wurde [2]. Sie hat gezeigt, dass im Jahr 2009 jedes zweite Kind zwischen drei und sechs Jahren Antibiotika erhält. Dabei ist die Verordnungspraxis je nach Region sehr unterschiedlich. Salopp kann man sagen, dass es in Deutschland beim Antibiotikaeinsatz zugeht wie Kraut und Rüben.

Medscape Deutschland: Gibt es ein Möglichkeit für den Kinderarzt, diese Standards nachzulesen?

Prof. Schuster: Ja, die Kursteilnehmer bekommen einen ausführlichen Tagungsband. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, das von der Fachgesellschaft herausgegebene „Handbuch der DGPI“ im Buchhandel oder per Bestellschein über den Verlag zu erwerben [3]. Das ist sozusagen die Bibel der Kinderärzte.

Medscape Deutschland: Wie berücksichtigen Sie die unterschiedlichen Interessen von an der Klink tätigen und niedergelassenen Pädiatern?

Prof. Schuster: Die niedergelassenen Kinderärzte wollen und brauchen natürlich den Praxisbezug, dazu gehören Themen wie die Behandlung der Halsentzündung oder die Mittelohrentzündung. Der Kliniker interessiert sich mehr für speziellere Fragen oder seltene Syndrome wie zum Beispiel Periodische Fiebersyndrome. Dabei handelt es sich um angeborene Störungen im Immunsystem, bei denen vermehrt schwere Infektionen und Fieber auftreten. Dieses Krankheitsbild ist für einen niedergelassenen Kinderarzt kaum relevant, weil er es nur einmal im Leben sieht. Trotzdem sollte er die wichtigsten Charakteristika natürlich kennen.

Medscape Deutschland: Was ist Ihrer Meinung nach ein weiteres wichtiges Thema?

Prof. Schuster: Das ist der Dauerbrenner Lyme-Borreliose. Wir haben hier in Deutschland mehrere Probleme mit der Lyme-Borreliose. Eines davon ist, dass verschiedene Fachgesellschaften unterschiedliche Therapieempfehlungen geben, was eigentlich nicht sein sollte. Das ist auch für die Patienten – wenn sie das mitbekommen - nicht verständlich. Wir beziehen uns bei unseren Therapieempfehlungen sehr stark auf die vorhandenen wissenschaftlichen Daten: welche Therapie ist sinnvoll, welche macht keinen Sinn? Gegen die Lyme-Borreliose helfen nur ganz bestimmte Antibiotika.

Medscape Deutschland: Können Sie etwas genauer auf die Therapie der Lyme-Borreliose eingehen?

Prof. Schuster: Liegt „nur“ eine Hautentzündung (Erythema migrans, Wanderröte) vor, reicht Amoxicilllin völlig aus. Ist jedoch bereits ein Gelenk entzündet, dann muss anders behandelt werden. Entweder kann in der Klink Cefotaxim intravenös gegeben werden, oder man kann – aber das gilt nur für Erwachsene – Doxycyclin einsetzen. Es hilft gut, aber ist nicht besonders Magen-Darm-verträglich. Wer das Doxy mindestens vier Wochen durchhält, ist die Borrelien los.
Schließlich gilt es noch, die Missverständnisse auszuräumen, die in der Bevölkerung zum Krankheitsbild vorliegen. Viele Menschen denken, dass man gegen die Borreliose impfen kann. Aber eine Impfung gibt es „nur“ gegen die Frühsommer-Meningo-Enzephalitis FSME.

Medscape Deutschland: Behandelt man beim Erythema migrans ohne weitere Diagnostik?

Prof. Dr. med. Volker Schuster: Ja, denn wenn sich nach einem Zeckenstich ein roter Ring um die Einstichstelle entwickelt, der sich langsam ausbreitet, ist die Diagnose Lyme-Borreliose 100-prozentig sicher. Dann kann man sofort anfangen zu behandeln. Es gibt auch eigentlich keine Verwechslungsmöglichkeit.

Medscape Deutschland: Auf dem Programm Ihrer dreitägigen Fortbildung steht auch ein Vortrag über Salmonellosen durch Reptilien, ist das wirklich relevant?

Prof. Dr. med. Volker Schuster: Ja, das ist ein Problem, was vielfach nicht bekannt ist. Viele Familien schaffen sich ein Tier an und denken nicht daran, dass dieses auch Krankheiten übertragen kann. Neben Hund, Katze und Maus werden auch Exoten, wie die Reptilien immer häufiger als Haustier gehalten. Reptilien zum Beispiel sind bis zu 90 Prozent mit bestimmten Salmonellen-Subtypen infiziert, die sie dann auch übertragen. Das kann auch über dritte gehen.

Medscape Deutschland: Und wenn ein Kind Durchfall hat ...

Prof. Dr. med. Volker Schuster: ... wird das Kind natürlich erst mal behandelt. Im Falle einer meldepflichtigen Salmonelleninfektion ist es jedoch wichtig nach der Ursache zu suchen. Ist dies tatsächlich ein Reptil oder eine Amphibie, sollten insbesondere Kleinkinder unter fünf Jahren davon fern gehalten werden. Weitere Schutzmaßnahmen sind Händewaschen oder die Infektionsquelle zu sanieren, was im Klartext bedeutet, das Tier abzuschaffen.

Referenzen

Referenzen

  1. Download Programm des 15. Infektiologischen Intensivkurses, 27. - 29. September 2012, Leipzig: http://www.dgpi-iik2012.de
  2. https://antibiotika.faktencheck-gesundheit.de/fachinformation/report-ergebnisse/
  3. www.dgpi.de/Publikationen.html
  4. Presseinformation des Universitätsklinikums Leipzig vom 25. September 2012 „Pädiatrische Infektiologie: Experten tagen in Leipzig“

Autoren und Interessenskonflikte

Dr. Carola Göring
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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