Hamburg – Reflux und Reizdarm, Morbus Crohn und Kolonkarzinom: Anlässlich des Kongresses „Viszeralmedizin 2012“ trafen sich vom 19. bis 22. September 2012 mehr als 4.000 Experten in Hamburg, um sich über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse und Fortschritte in diesem interdisziplinären Gebiet auszutauschen, das sicherlich zu den vielfältigsten Fächern der Medizin zählt.
Eines der großen Themen war die endoskopische Resektion (ER) von Frühkarzinomen. „Wir verzeichnen derzeit eine starke Zunahme des Ösophaguskarzinoms und hier besonders des Barrettkarzinoms“, sagte Prof. Dr. med. Jürgen Hochberger, Chefarzt der Medizinischen Klinik III, Gastroenterologie und Allgemeine Innere Medizin, St. Bernward-Krankenhaus, Hildesheim.
Hochberger, der der Sektion Endoskopie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) vorsitzt, nannte unter den rund 6.000 Erwachsenen, die derzeit jährlich an einem Speiseröhrenkrebs erkranken, wenig überraschend Männer als viermal häufiger betroffen denn Frauen – vor allem, wenn sie adipös sind, älter als 50 Jahre und mehr oder minder spürbar an chronischem Reflux von Salzsäure, Gallensäure und Enzymen aus Magen und Zwölffingerdarm in die Speiseröhre leiden. „13 Prozent von ihnen entwickeln eine Barrett-Schleimhaut, 4 bis 6 Prozent ein Barrett-Frühkarzinom. Deren Risiko ist 40- bis 125fach und damit im Vergleich zur Normalbevölkerung stark erhöht.“
Die Prognose für ein solches Karzinom ist ungünstig: 5 Jahre nach Diagnose liegt die Überlebensrate bei 17 %. Früh erkannt und behandelt ist es indes mit über 90 % im Langzeitverlauf sehr gut heilbar. Laut Hochberger sind regelmäßige Screeningprogramme der Risikogruppen daher ein großes Ziel der Viszeralmediziner.
Barrett-Frühkarzinome sind sehr gut heilbar
Bei der Behandlung der Dysplasien und mukosalen Barrettkarzinome hat die endoskopische Therapie in den vergangenen 10 Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Die Entwicklung hoch auflösender Endoskope ermöglicht eine immer genauere Darstellung immer kleinerer Details der Schleimhautoberfläche, sodass Läsionen in noch früheren Stadien sichtbar werden. Mit der Endoskopischen Mukosaresektion, zu der die Kappen- und Piecemeal-Resektion gehören, sowie der Radiofrequenzablation stehen je nach Ausdehnung der Veränderungen in Tiefe und Fläche alternativ oder ergänzend etablierte Verfahren zur Verfügung.
„Die Endoskopische Resektion wird weithin als Therapie der Wahl für das auf die Mukosa begrenzte Barrett-Frühkarzinom betrachtet. Voraussetzung dafür in kurativer Intention ist stets, dass das Risiko einer stattgehabten Lymphknoten-Metastasierung als sehr gering eingestuft werden kann“, so PD Dr. H. Manner, Innere Medizin II, Horst-Schmidt-Kliniken in Wiesbaden [2].
Eine neue Runde im Kampf präkanzeröser Läsionen wurde vor gut 5 Jahren mit der Endoskopischen Submukosadissektion (ESD) eingeläutet. Die ESD wurde in Japan entwickelt und hat in asiatischen Ländern inzwischen einen festen Stellenwert bei der Therapie von Frühkarzinomen des Gastrointestinaltraktes.
In Europa wird das Verfahren bislang nur an wenigen Zentren durchgeführt. Es weist das geringste Rezidivrisiko auf, ist jedoch auch das invasivste Verfahren und technisch anspruchsvoll. Nach Markierung der Tumorausdehnung wird Flüssigkeit unter die Schleimhaut gespritzt, der Tumor dadurch vom Untergrund abgehoben und in einem Stück resezierbar. So herausfordernd und viel versprechend das Verfahren ist, es birgt gewisse Risiken vor allem beim ungeübten Anwender. Hervorzuheben sind Blutungen und die Perforation.
Vorteil: Submukosa en-bloc resezierbar
Hochberger, der das Verfahren in Hildesheim anwendet, beschrieb in Hamburg ausführlich seine Erfahrungen und die Ergebnisse japanischer Arbeitsgruppen:
„Die ESD bietet den Vorteil der en-bloc-Resektion und nachfolgenden kompletten histopathologischen Aufarbeitung auch flacher Schleimhautareale von über 2 Zentimetern Größe, welche mit herkömmlichen endoskopischen Resektionsverfahren nur schwer in einem Stück abzutragen sind. Flächige Resektionen in ESD-Technik waren in den letzten Jahren überwiegend auf Magen und Rektum begrenzt, da nach ausgedehnter ESD, analog der flächigen Kappenresektion im Ösophagus, mit einer erhöhten Strikturrate von über 30 Prozent zu rechnen war. Dies konnte im eigenen Kollektiv seit November 2009 für flächige Resektionen, die zwei Drittel der Zirkumferenz überschritten, bestätigt werden.
Nach tierexperimentellen Grundlagenuntersuchungen am Schwein hatten wir daher am 13. April 2011 bei einem 72-jährigen Patienten mit nahezu zirkulärem Plattenepithel-Frühkarzinom im Bereich des zervikalen Ösophagus erstmals zunächst eine 10 Zentimeter tubuläre ESD des Frühkarzinoms bis in den oberen Sphinkter und nachfolgend eine circa 6 mal 4 Zentimeter ESD gesunder Magenschleimhaut im Antrum durchgeführt, um diese nach Längsspaltung erfolgreich in den zervikalen Ösophagus zur Strikturprävention zu transplantieren.
Nach Entfernung des selbst expandierenden Metallstents zur Gewebefixierung bildete sich innerhalb der folgenden 6 Monate eine zunehmend zirkuläre, lachsfarbene, HP-negative antrale Mukosa im zervikalen Ösophagus aus, ohne Strikturentwicklung im Transplantat-geschützten Bereich.
Der Patient ist wohlauf, entwickelte jedoch eine circa 1 Zentimeter lange Striktur im nicht Transplantat-überdeckten Sphinkter-Bereich, die aktuell noch einmal pro Monat ambulant bougierungsbedürftig ist [3].
Parallel erschienen im Frühjahr 2011 einzelne Publikationen aus Japan, welche eine drastische Reduktion der Strikturrate bei zirkulärer beziehungsweise quasi zirkulärer ESD im Ösophagus unter systemischer Steroidprophylaxe mit oralem Prednisolon nachweisen konnten. Yamaguchi und seine Kollegen berichteten über 41 Patienten mit Plattenepithel-Frühkarzinom und mehr als Dreiviertel zirkulärer ESD im Ösophagus. Sie fanden nach 3 Monaten in lediglich einem von 19 Fällen eine Strikturbildung unter Prednison, im Vergleich zu 7 von 22 Patienten eines Kontrollkollektivs, welches mit Ballondilatation zweimal pro Woche prophylaktisch 8 Wochen lang behandelt worden war (p<0,0001) [4].
Erste eigene Erfahrungen sind limitiert, jedoch viel versprechend. Vom 12. November 2009 bis 3. Juli 2012 führten wir 28 großflächige ESDs bei 27 Patienten mit Frühkarzinom oder hochgradiger intraepithelialer Neoplasie (HGIN) im Ösophagus durch. Hiervon wurden 13 Patienten seit September 2011 mit tubulärer mukosaler Resektion in ESD-Technik und oraler Steroid-Strikturprophylaxe behandelt. Erste klinische Ergebnisse und endoskopische Befunde sind beeindruckend (Abb. 1 bis 3).
In lediglich 2 der 13 Fälle war bisher eine temporäre Bougierungsbehandlung erforderlich. Weitere, insbesondere multizentrische Erfahrungen mit Langzeit-Follow-up bleiben jedoch abzuwarten.“
Deutschlandweites ESD-Register
In Asien wurden bereits mehrere tausend Patienten behandelt. Um auch hierzulande eine Übersicht über den Stand der ESD zu erhalten, wurde im August 2008 in Kooperation mit dem Klinikum Augsburg, dem Alfried Krupp Krankenhaus Essen, dem Marienhospital Osnabrück und der Asklepios Klinik Hamburg-Barmbek sowie mit Unterstützung der DGVS/ Sektion Endoskopie ein bundesweites ESD-Register initiiert. Es sollen möglichst alle ESD-Prozeduren mit dem Ziel dokumentiert werden, Daten zu Häufigkeit, Indikationsstellung, Verlauf, Komplikationen und Aufwand aus größeren und kleineren Zentren zusammenzutragen und über die aktuellen Entwicklungen und Zahlen zu informieren.


