Sexting – Handy-Flirt oder mehr?

Anja Laabs | 25. September 2012

Autoren und Interessenskonflikte

 

Prof. Dr. phil. Dagmar Hoffmann
 

Welche Bedeutung hat es für Jugendliche, wenn sie via Handy über sexuelle Inhalte kommunizieren, zum Beispiel sexuell freizügige Bilder von sich verschicken?  Prägt dies auch ihr praktisches Handeln, verändert es den Umgang mit sexuellen Risiken? Diesen Fragen widmete sich die Studie „Die Assoziation zwischen sexuell expliziten Handy Kurznachrichten und dem sexuellen Risiko für Jugendliche“, die unlängst in der Fachzeitschrift Paediatrics erschienen ist. Es ging darum, „das Potential der negativen Folgen vollständig zu verstehen“.
Die Wissenschaftler gingen der Frage nach, ob es einen Zusammenhang zwischen dem  Versenden explizit sexueller Kurznachrichten oder Bilder via Handy – der Ausdruck dafür lautet „Sexting“ und hat sich inzwischen auch hierzulande eingebürgert - und dem Sexualverhalten und dem Risiko gibt, sich mit sexuell übertragbaren Krankheiten anzustecken oder ungewollt schwanger zu werden. Ihr Ergebnis: Sexting ist bei Jugendlichen eher Bestandteil riskanter sexueller Verhaltensweisen und nicht einfach eine Alternative zum realen Sexualleben.

Jeder zweite Jugendliche kennt aktive Sexting-Nutzer 

Für ihre Studie wählten die Wissenschaftler eine anonyme, schriftliche Befragung von 1839 amerikanischen Schülerinnen und Schülern in Gymnasien in Los Angeles/Kalifornien aus dem Jahr 2011. Sie sollten ihr persönliches Sexting beurteilen, aber auch die Entwicklung ihrer sexuellen Aktivitäten, bestimmte Details ihres Sexualverhaltens, was zum Beispiel bestimmte Techniken angeht (Oralverkehr, Vaginalverkehr, Analverkehr) und die sexuelle Risikobereitschaft, etwa anhand der Frage, ob beim letzten Sexualkontakt Kondome benutzt wurden oder nicht. Bei der Untersuchung wurden ausschließlich Jugendliche mit Zugang zum Handy berücksichtigt, 75 % besaßen ein eigenes Handy und benutzten es täglich. Die Mehrzahl (96 %) war im Alter zwischen 14 und 17 Jahren, mehr als vier Fünftel (87 %) waren heterosexuell. Von den Befragten gehörten 12 % zur Gruppe der afroamerikanischen Jugendlichen, 72 % hatten lateinamerikanische Wurzeln und 9 % stammten von weißen Angloamerikanern ab.
Während von den untersuchten Jugendlichen 15 % Sexting aktiv betrieben, also explizit sexuelle Nachrichten oder Fotos von sich selbst verschickten, kannten 54 % eine Person, die eine sexualisierte Nachricht per Handy verschickt hat. Ältere und afroamerikanische Jugendliche verschickten häufiger sexualisierte Nachrichten oder Fotos als jene Jugendliche, die sich als homosexuell, bisexuell oder transgender (LGBTQ Gruppe) bezeichneten, bzw. die keiner eindeutigen sexuellen Ausrichtung zugeordnet wurden. Jugendliche, die eine andere Sexting-aktive Person kannten, verschickten 17 Mal häufiger selbst sexualisierte Nachrichten, als wenn eine solche Bekanntschaft nicht bestand.

Sexting und sexuelle Risikobereitschaft

Überdies zeigte sich, dass insbesondere ältere und männliche Jugendliche häufiger Sex hatten als jüngere, sondern dass dieser beim letzten Kontakt auch häufiger ungeschützt war.  Am häufigsten ungeschützten Sex bei ihrem letzten Intimkontakt hatten die Jugendlichen aus der LBGTQ Gruppe. dass mit zunehmendem Alter die Häufigkeit für ungeschützten Sex zunahm. Das hängt offenbar direkt mit dem Sexting-Verhalten zusammen: Studienteilnehmer, die explizit sexuelle Nachrichten versendeten, hatten laut dieser Studie signifikant häufiger Beischlaf. Es konnte außerdem festgestellt werden, dass sie eher zu ungeschütztem Sex während ihres letzten Intimkontaktes neigten, als jene, die kein Sexting betreiben. Dieser Zusammenhang war indes nur als Trend erkennbar, er erreichte nicht statistisches Signifikanzniveau.

Generalisieren lassen sich die Ergebnisse der Studie nicht, wie die Autoren freimütig eingestehen. Allerdings seien dies doch wichtige Hinweise für die Existenz einer Verbindung zwischen dem Sexting und der sexuellen Risikobereitschaft unter Jugendlichen. Das sieht Prof. Dr. phil. Heinz Reinders am Lehrstuhl für Empirische Bildungsforschung der Universität Würzburg anders. „Sexuell aktive Jugendliche leben ihre sexuelle Aktivität auch auf dem Handy aus.“ Das sei besonders in diesem Alter und unter Freunden ein ganz normales Verhalten. Für Reinders ist klar, dass junge Menschen Medien für Dinge nutzen, die gerade anstehen. Naturgemäß ist das in der Pubertät die Sexualität. Auch Prof. Dr. phil. Dagmar Hoffmann am Lehrstuhl für Medien und Kommunikation der Universität Siegen, findet, dass hier Dinge dramatisiert werden, die in Deutschland kaum eine Rolle spielen würden. In dieser Studie würde nicht einmal klar, was mit dem Kunstbegriff „Sexting“ gemeint sei und was genau unter die Kategorie expliziter sexualisierter Kurznachrichten oder Bilder falle. „Klar ist es wichtig“, so Hoffmann, „im Zusammenhang mit der Handynutzung über Gefahren und Grenzüberschreitungen offen zu reden und auch aufzuklären.“ Immerhin hätten 97% aller Jugendlichen hierzulande ab 12 Jahren ein Handy. Da seien Diskussionen über Persönlichkeitsrechte und Datenschutz, so Hoffmann, beim Umgang mit bestimmten Medien wie dem Handy wichtig und sinnvoll.

Methodische Zweifel am Ergebnis

Dennoch ließen sich nach Ansicht von Heinz Reinders aus Resultaten wie denen aus der vorliegenden Studie noch keine Zusammenhänge herstellen. So könne man beispielsweise nicht sicher sagen, ob der Parameter ‚persönliches Sexting‘ kausal mit bestimmten Verhaltensweisen in Beziehung stehe, oder ob er womöglich nur zufällig in diesen Bezügen auftauche und ganz andere Gründe in Betracht kämen. „Dadurch ist eine Vorhersage überhaupt nicht möglich.“ Hinzu käme, dass die Studie ‚ungeschützten Sex‘ mehr oder weniger mit ‚unbedarftem Sex‘ gleichsetze, woraus dann Art und Ausmaß des sexuellen Risikoverhaltens abgeleitet  würde. Für Reinders mache dies jedoch keinen Sinn: „Diese Studie vermittelt den Eindruck, dass mit zunehmendem Alter auch das sexuelle Risikoverhalten besonders jener Jugendlichen zunimmt, die Sexting betreiben.“ Beurteilungskriterium dafür sei, dass mit zunehmendem Alter auch eher ungeschützter Sex stattfände. Reinders: „Der Beziehungsstatus wurde in dieser Studie überhaupt nicht berücksichtigt. Je älter die Jugendlichen werden, umso eher stecken sie in festen Beziehungen. Hier ist das Vertrauen natürlich größer und man einigt sich auf sexuelle Praktiken ohne Kondom.“

Auch Dagmar Hoffmann vermisst eine stärkere Differenzierung der untersuchten Parameter. Die Studie setze sexuelles Risikoverhalten mit dem Nichtgebrauch von Kondomen gleich. „Das greift natürlich zu kurz“. Es gibt weit mehr Verhaltensweisen, erläutert Hoffmann, die für ein riskantes Verhalten sprechen. Zudem sei nicht geklärt, was mit expliziten Textnachrichten oder Bildern, die beim Sexting versendet werden, überhaupt gemeint ist. Hoffmann stellt klar, dass jeder unter sexuellen und erotischen Darstellungen etwas anderes verstünde.

Nicht auf Deutschland übertragbar

Auf die Verhältnisse hierzulande sei diese Studie jedenfalls nicht übertragbar. Selbst in den USA betreibe nur eine Minderheit dieses Sexting. In Deutschland besäßen zwar die meisten Jugendlichen ein Handy. Trotz dieser „Vollversorgung“ würden aber nur verhältnismäßig wenige Jugendliche damit Bilder verschicken. Für die Minderheit, die auf diese Weise Sexting betreibe, seien, so Hoffmann, offene Gesprächsangebote wichtig und sinnvoll. Denn unter bestimmten Umständen verstößt es gegen Persönlichkeitsrechte, gegen den Datenschutz und ist, sofern es sich um pornographische Darstellungen minderjähriger Kinder handelt, sogar strafbar.

Doch ein Aufklärungsprogramm, wie es die Studie am Ende empfiehlt, lehnt Reinders ab. „Die meisten Jugendlichen probieren Dinge aus, die sich bald auch wieder verlieren. Das ist auch beim Sexting so. Wer deshalb ein Aufklärungsprogramm isoliert zum Sexting startet, ohne generelle sexuelle Aufklärung zu betreiben, macht sich wohl eher lächerlich.“

Referenzen

Referenzen

  1. Rice E: Pediatrics (online) 17. September 2012; DOI:10.151542/peds20122012-0021
    http://dx.doi.org/10.1542/peds.2012-0021

Autoren und Interessenskonflikte

Anja Laabs
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Prof. Dr. phil. Heinz Reinders
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

Prof. Dr. phil. Dagmar Hoffmann
Es liegen keine Interessenkonflikte vor.

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