Im Vorgriff auf den Kongress Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) im September 2012 in Bochum hat die Fachgesellschaft in einer Pressemitteilung (1) erklärt, es gebe zunehmende wissenschaftliche Hinweise darauf, dass Vitamin D „möglicherweise über eine antientzündliche Wirkung auch gegen entzündlich-rheumatische Erkrankung wirksam ist“.
Zunächst zitiert die DGRh diverse Studien und Experten, denen zufolge auch bei Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen häufig ein Vitamin-D-Mangel vorliegt. Diese Tatsache ist schon früher mehrfach bestätigt worden, unter anderem beim EULAR-Kongress 2010 (2). Unklar ist jedoch die Frage nach „Henne und Ei“: Ob nämlich die Unterversorgung mit dem Hormon „Ursache oder Folge der rheumatischen Erkrankung ist“, sei offen, formuliert zum Beispiel PD Dr. Diana Rubin (3), Leiterin der Fachgruppe Ernährungsrisiken am Bundesinstitut für Risikoforschung.
Widersprüchliche Empfehlungen
In der an Publikumsmedien und somit an Laien gerichteten DGRh-Pressemitteilung heißt es weiter: Es „bestehen Hinweise aus großen Beobachtungsstudien, dass sich die antientzündliche Wirkung von Vitamin D positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt“. Hingegen heißt es in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (4), der positive Effekt einer Vitamin-D-Gabe sei nur in definierten Fällen (etwa Rachitis-Prophylaxe bei Säuglingen, zur Sturzprophylaxe und Vorbeugung von Konchenbrüchen bei Senioren oder bei Osteomalazie) gesichert. Für andere Indikationen einschließlich Immunkrankheiten „liegen dagegen nicht genügend valide Daten aus großen Interventionsstudien zur Vitamin D-Gabe vor“, wird der Sprecher der DGE, Prof. Dr. Helmut Schatz (Bochum/Deutschland) zitiert. Dafür seien Interventionsstudien notwendig. Diese Aussage gelte weiter und auch für rheumatische Erkrankungen (5).
Zu den von der DGRh aufgeführten Erkrankungen, für die eine Substitution von Vitamin D empfohlen wird, zählt ausdrücklich auch die Arthritis. Antonio Altico und Co-Autoren hingegen kommen im Juli 2012 in einer Übersichtsarbeit zu verschiedenen Autoimmunerkrankungen6 zu folgendem Schluss: „Rheumatoide Arthritis weist die geringste Assoziation zwischen Vitamin-D-Level und Prävalenz auf.“ Eine Arbeit von Marius Racovan und Co-Autoren (7) haben Daten aus der Women’s Health Initiative-Studie zur Supplementierung mit Calcium und Vitamin D ausgewertet. Ihr Ergebnis: Auch die Kombination habe keinen signifikanten Effekt bei postmenopausalen Frauen gezeigt. Im Gegenteil gebe es Hinweise darauf, dass hohe Vitamin-D-Dosen das Risiko für rheumatoide Arthritis erhöhe. In einem Cochrane-Review (8) verlangen die Autoren im Hinblick auf Schmerztherapie allgemein kontrollierte Studien, denn die bisherigen Arbeiten zu diesem Thema seien von sehr unterschiedlicher Qualität und kämen zu heterogenen Aussagen. Neue Erkenntnisse weisen schließlich auf einen weiteren, bedenkenswerten Aspekt hin: Zwar werden bei hoher Krankheitsaktivität meist niedrige Vitamin-D-Spiegel gemessen. Doch selbst bei Substitution mit hohen Dosen würden die gewünschten „normalen“ Serumspiegel bei Rheumatikern nicht erreicht (9).
Ein euphemistisches Fazit
Aus diesen Gründen erscheint die Aussage der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie euphemistisch, solange keine Interventionsstudien vorliegen. Nicht vollends ausgeschlossen ist, dass die an Laien gerichtete Empfehlung sogar kontraproduktiv wirkt, weil sie für weitere Verwirrung sorgen könnte. Zwar ist die Deutsche Gesellschaft für Ernährung kürzlich von einem altem Dogma abgerückt, das da lautete, die externe Zufuhr von Vitaminen sei bei guter Ernährung überflüssig. Angesichts der Vitamin-D-Mangelversorgung in großen Teilen der Bevölkerung empfiehlt die Gesellschaft nunmehr älteren Menschen zur Vorbeugung von Stürzen und Knochenbrüchen die Substitution, da diese sich oft zu wenig der Sonne aussetzen und ein „Auffüllen“ des Depots mittels Ernährung nur sehr schwer möglich ist. Hier ist indessen von 20 µg, entsprechend 800 bis 1000 Einheiten die Rede. Bei deutlich darüber liegenden Mengen (die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA hat 50 µg pro Tag als Höchstwert festgelegt) kann es zu erhöhten Kalziumspiegeln kommen. Vitamin-D-Substituierung ist somit mittlerweile in bestimmten Fällen weitgehend unbestritten. Auf der anderen Seite haben sich in der Vergangenheit viele Empfehlungen zur Gabe von Vitaminen und Spurenelementen als interessengeleitet herausgestellt. Bei rheumatischen Krankheiten scheint dem Arzt derzeit somit nur die individuelle Abwägung zu bleiben.